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IL Hutli

Da steht's gedruckt, Anita, von dem Bild, wo uns der Franzi als Nymphen gemalt

hat: ,,. . , die klassischen Formen unvergänglicher Weiblichkeit . . ."

Da siehgst wieder mal, daß man nicht alles glauben darf, was in der Zeitung steht.

TodesruSh ein — irgendwo knarrte ein Pest-
karren jgtd über allem schien unentwegt die Sonne.
Der Mesner sagte, er müsse heim zum Kaffee. Er
winkte dem Mann im Lederanzug abschiedneh-
mend zu. Der Mann sprang daraufhin behend
vom Schuttberg, verwandelt, fröhlich, mit ver-
bindlichem: „Sie gehen schon? Aber so bleiben
Sie doch — wir müssen gleich dran sein." Er
senkte geschmeichelt, doch in gespielter Beschei-
denheit den Kopf, als der Mesner laut seine
wunderbare Nase pries und ließ sich selbst-
gefällig streicheln für sein grausiges Talent wie
ein Jagdhund für prächtiges Apportieren. Man
tut, was man kann, gaben verbindlich sein
Schulterzucken, sein Nicken, sein verschämtes
Lächeln zu verstehen. Dann eilte er zurück an
seinen Ausguck, seinen Riechplatz.
Die Nase war wirklich wunderbar. Eine Stunde
später warfen die Schaufeln der Arbeiter den
Kadaver eines großen braunen Hundes ohne
Kopf aus der Grube, die sie in den Schuttberg
getrieben hatten. Kann sein, daß er der Schatten
gewesen war, den die Mauer erwischt hatte, gab
die Augenzeugin zu. Kann sein, daß noch anderes
begraben lag. Der Leichenriecher spreizte be-
dauernd die Hände: seine Nase, nicht wahr, hatte
das ihre getan. Konnte sie mehr tun, als den
Tod riechen, gleichgültig, wessen Tod? Er, so
schien sein verbindliches Lächeln im grünen
Gesicht, sein Händespreizen, sein Kopfschütteln
zu sagen, er hätte natürlich gern besseres ge-
boten als nur einen Hund. Anderseits aber, nicht
wahr, man war doch ein Mensch, anderseits aber
mußte man auch wieder zufrieden sein.
Zufrieden wie die stechende Sonne, wie der
wirbelnde Moder, wie die fetten Ratten im
Ruinenschutt. Vim

»ER SCHLIPS

Einst war ich Schleppe von Großmutters Kleid
und prangte in seidiger Fülle,
nach Jahren verfiel ich dem Zahn neuer Zeit
als Mamas Tournüre und Tülle,

Jahrzehnte verstrichen — ich ward renoviert,
Reliquie aus besseren Tagen,
und wurde als Tuch, das ein Mieder verziert,
vom Töchterlein Mizzi getragen,

Mit Ausdauer hab' ich dem Schicksal getrutzt.
es erbte mich jeglicher Erbe,
vertraulich: ich wurde zu allem benutzt,
als Brust- und als Kopftuch und Schärpe.

Ich wanderte rastlos aus Händen zu Hand,
nun trägt mich Herr Emil, der Sohn,
ich hab' mich historisch-ironisch genannt:
„Textil einer Generation!"

Es knackt mein Gewebe heut hörbar und trüb,
mein Dasein wird kurz und bedrängt,
drum tat ich das Letzte, das mir noch verblieb:
ich habe mich schmerzlos gehängt!

Mit Inbrunst häng' ich an Emil, dem Sohn,

doch spüre ich: bald ist es aus;

denn, ach, ich hänge auch Emil schon

seit Jahren — zum Halse heraus Helmut Gogröf

DAS DENKMALSREH

Die Stadt hatte einige sehr schöne Villen, vier nicht un-
bedeutende Fabriken, eine D-Zug-Haltestelle und eine
Irrenanstalt. Aber all das trug ihren Namen nicht in die
große Welt. Es war etwas Besonderes, das ihren Ruhm
nach draußen trug und viele Fremde von überallher an-
zog: Ein bewaldeter Berg überragte die Stadt, und auf der
höchsten Spitz« dieses Berges befand sich ein Denkmal
von gigantischen Ausmaßen. Seine Form war das Ent-
zücken von Millionen von Augen: Auf neun riesigen
Säulen ruhte eine gewaltige Krone, unter der eine stolze,
zur Ueppigkeit neigende und doch liebliche Fraucngestalt
mit wiederum einer Krone in der hocherhobenen rechten
Hand stand, während die gesenkte Linke einen Palmwcdel
hielt. Die Füße dieser imponierenden Gestalt befanden
sich inmitten eines Dickichtes von sinnvoll geschichteten
Kanonenrohren, Bajonetten, Bronzelorbaer utod Pickel-
hauben.

Im ganzen Land gab es wohl keinen Krieger- oder Kegel-
verein, dessen Mitglieder nicht schon einmal zu Füßen
der großen Frauengestalt gestanden hätten, und kein
Verein war talwärts gezogen, ohne der Heldengestalt nicht
vorher ein Trutzlied dargebracht zu haben. Mancher
Schwur wurde hier geschworen, manche Flasche geleert und

manche Faust gegen den Erbfeind geballt. Auf Bunt-
postkarten machte sidi dieses Denkmal fast noch schöner
als in Wirklichkeit. Regierungen wechselten, aber des
Volkes angestammte Liebe zu diesem Denkmal blieb un-
erschütterlich.

Was Wunder, daß auch der Förster, der diesen bewaldeten
Berg mit dem herrlichen Denkmal zu betreuen hatte, oft
zu Füßen der prächtigen Fraucngestalt saß, dabei bart-
streichend der alten und stolzen- Zeiten gedenkend. An
einem Wintertag kam ihm eine Idee, die den Ruhm der
Stadt noch vergrößern sollte. Er legte einen Salzlccksi.ein
zu Füßen der Heroine, und unten vom Marktplatz aus
koruite man bald mit einem scharfen Feldstecher beob-
achten, wie die Rehe rudelweise zum Denkmal zogen.
Als die Tage wärmer wurden und die Menschen wieder
bergauf pilgerten, da blieb ein Reh zurück und nahm mit
graziöser Scheu Leckerbissen aus den Händen der Be-
sucher entgegen. Bald stand das zahme Reh in dein Herzen
aller Denkmalsbesucher und in den Spalten der Kreis-
zeitung. Anläßlich einer Kolik, die es sich nach Ansicht
des Försters durch Verzehr von Stanniolkorken und Ziga-
rettenresten geholt hatte, lag bange Sorge über der Stadt;
die Presse brachte tägliche Bulletins über das gottlob
wieder schnell bergauf gehende Befinden des Rehes.
Dann kam der Krieg. Und mit ihm feindlich: Flieger,
die es auf die Fabriken und eine Sendestation in der
Nähe des Denkmals abgesehen hatten. Nach jedem An-
griff schauten die Bewohner bergaufwärts, und die Züge
glätteten sich beruhigt beim Anblick des Denkmals, das
so recht ein Tnnzdenkmal war, dem die Flieger wohl nichts
anhaben konnten. Die Zeitung brachte in Abständen nach
wie vor Stimmungsbilder über das Denkmal und sein Reh.
das den Kleinmütigen sogar als besonderes Beispiel der
Beharrlichkeit und des Mutes dargestellt wurde, denn es
blieb unentwegt an seinem Standort.
Bis eines Morgens die Schreckensnachricht durch die Stadt
■eilte: Das Dcnkmalsreh ist nicht mehr! Es herrschten Kummer
und Trauer. Die Bombe haue der Sendestation gegolten;
das Reh lag verendet in der Nähe des Denkmals. Die
Kreiszeitung widmete dem Ereignis zahlreiche Nachrufe
und Abbildungen. Ein Studienrat schrieb eine tiefgründige
Abhandlung über die ,,Beziehungen des Sanften zum Hero-
ischen", die d-em Reh ein Denkmal im Geiste setzte. Als
Trost blieb eigentlich nur. daß die imponierende Fraucn-
gestalt inmitten der Säulen noch immer die Krone empor-
icckte, was den Lokalredakteur zu einem Aufsatz ,,Und
dennoch!" inspirierte.

Bei all dem vielen Raum, den das ..Reh der Zeitung an
Artikeln und Bildern fortnahm, ließ man es trotzdem im
Kleindruck nicht unerwähnt, daß durch den gleichen An-
griff auch die Bevölkerung Verluste hatte. Kurt Groos

J.Bleyer: DAS SOZIALE GESPANN

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das soziale Gespann"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Signatur: HEHU / J. Bleyer

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Digitales Bild
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Der Simpl, 3.1948, Nr. 5, S. 51.

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