E. Schlichter
Nein, die Siegerin von der Münchner Schönheitskonkurvenz
bin ich nicht, aber ich arbeite auch bei den Amis.
BAYERNPAKTEI IM ZUG
Das Wandern ist des Müllers Lust sagten sich viele Wähler im schönen
Monat Mai und verließen den Umsteigbahnhof CSU.
Nun. besonders wohl fühlten sie sich dort nie. Schwarze, rauchgeschwän-
gerte Hallen, ständige Zänkereien an den brüchigen Flügelseiten, dazu der
robuste Vorstand Dr. Müller waren nicht jedermanns Geschmack. Dies
konnte man auch von den fleischlosen Gerichten des Bahnhofwirtes
Schlögl sagen. Sonderzüge nach Ellwangen und Rom, vor allem der
Alpen-Nordsee-Expreß via Frankfurt steigerten das Mißbehagen der hung-
rig Wartenden. Selbst das beschwichtigende Eingreifen von Kondukteur
Ehard und der hilfsbereite Flügeltürhalter Horlacher' konnten dieses nicht
mehr mindern. Vergeblich forderte der frühere Fahrdienstleiter Schäffer
Fahrplanänderung. Auch sonst war füi die\Umsteiger nicht viel zur Aus-
wahl Nur die üblichen Garnituren standen auf alten ausgefahrenen Ge-
leisen bereit: 2 Arbeiterzüge in Richtung Ost und West, 1 FDP-Train
für Großkaufleute, 1 Güterzug für Ausgewiesene, 1 WAV-Vorläufer,
1 -D-Blck-Nachläufer und 1 Dieseltriebwagen für unschlüssige Wähler.
Begreiflich, daß viele der Umsteigenden in den
weiter rechts befindlichen Bahnhof der neugegrün-
deten Bayerischen Lokalbahn strömten. Dafür
sorgte schon mit lauter Stimme Zugschaffner
Fischbacher. Auch die altväterlich weißblau um-
ränderten Werbeprospekte ermunterten sehr zu
Benützung der gemütlichen Eisenbahn. Was
wurde da nicht alles geboten: Bevorzugte Platz-
karte für Einheimische, natürlich Eckfenster-
sitz, der ungeschmälerten Genuß der vorbeiglet-
tenden bayerischen Heimat ermöglicht. Kein
Gedränge mehr, da Bahnsteige und Abteile von
Preußen, Evakuierten und ähnlichen Ausländern
gesäubert sind. Daher kann auch wieder reich-
lich Reiseproviant, wie Speck, Eier, Käse, Butter,
Brot und Bier, alles im Lande erzeugt, auf den
Büfetts angeboten werden. Statt der rußenden
mit Ruhrkohlen gespeisten Lokomotiven rollen
autarke Eloks, die ihre Kraft aus bayerischen
Gewässern beziehen. Gemütlich dialektspre-
chende Beamte ersetzen den schnarrenden rot-
bemützten Mefehlsgeber. Die Zulassung bestimmt
der Herrgott, da Fahrkarten nur gegen Vor-
zeigung des Geburtsscheines erhältlich sind. Nur
Bayern dürfen fahren.
Hoffentlich können die Umsteiger nun bald die
Fahrt ins ungewisse Blaue beginnen. Vielleicht
werden sie dann ihre weißblauen Wunder er-
leben? Adalbert Lech
EXISTENTIALISTEN
Versnobter Existenzler greift ins volle Leben,
denn du sollst da-sein, nicht daneben.
Man lechzet modisch nach der Vergeworfenheit
und säubert sein Milieu adrett von Gott und Zeit.
Pardon für vieles oder alles gibt die Welt,
du hast die Wahl — erlaubt ist, was mißfällt.
Alleinsein ist noch keine Einsamkeit,
die Kümmernis nicht Angst.
Das Sein ist monoton und breit,
sei nur zum Tode, dem du alles dankst.
Bis dahin sei spontan, nachlässig elegant und frei,
sei freiend — leihend — seiend.
Blase das Saxophon oder Schalmei.
Das Dasein ist umfaßt, ob liebend oder speiend.
Ihr Männer mit dem Entenschopf,
Blaustrümpfe, garantiert verkehrt! ,
Philoso-viel ist im Cafehaushexenkesseltopf
Philoso-falsch vermixt und existentiell hineingeleert.
Fürwahr ein toller Wurf.
Geworfenheit partout.
Man wirft die ganze Existenz ins Spiel,
das Nichts ist eine Art von blinder Kuh! . i,„ia
H. Huth
WO SIE'S NUR HERHABEN?
GEGENSTANDSLOSE DJSKUSSION
An den Wänden des kleinen Kabinetts hing lauter abstrakte Malerei. Davor
standen Hausfrauen, Kunstmaler, Studenten, Malfräuleins, umgeschulte Block-
warte, Kunstgewerblerinnen, Schwarzhändler, Schriftsteller und andere. Zwischen
breiten Rahmen wimmelte es von Kreisen, Winkeln und Pfeilen. Linienbündel
schössen in Rechtecke, Schlangenlinien entwanden sich gleichschenkeligen Drei-
ecken, Kugeln schwebten in und über anderen Kugeln, Kreise ringelten sich
konzentrisch ineinander oder schnitten sich gegenseitig in Stücke. Eine Tangente
ward zum aufregenden Erlebnis, Farbwolken segelten aufeinander zu, auf
glühende Gase legten sich eiskalt sachliche Oktogene — es war allerhand los.
Die Beschauer klammerten sich an die Unterschriften und suchten aus der
gegenständlichen Welt ihrer Vorstellung heraus einen Halt in einer Erklärung
des Abstrakten. Aber die Bilder hießen: Komposition I, II, III oder Scherzo,
Intermezzo, Fortissimo oder Umarmung oder Zärtlichkeit. Ein weites Feld. Ver-
zweifelte Wüstlinge suchten in der abstrakten Erotik die gegenstandslose Porno-
graphie. Eine kühne interessante Variante. Nicht alle schienen sie zu finden.
Irgendwo zirpte die Frage, was die Bilder denn aussagen wollten? Jemand
sagte: Nichts, das ist doch das Abstrakte dran. Ein Maler griff scharf einen
seiner Meinung nach allzu spitz ins Bild gesetzten roten*Punkt an. Der Punkt
jedoch war grün. Ein Malfräulein trat den Beweis an, daß wir in einer magischen
Zeit lebten. Die Schwarzhändler fühlten sich davon sehr angesprochen. Ein
Kunstschriftsteller sprach einen längeren Artikel, ein zweiter bezog sich immerzu
auf den ersten. Ein Kind sagte: Ui, die Großmutti — und deutete auf ein
orangefarbenes Fünfeck, das in einer braun-grünen Dolde hing.
Eine Dame -mit einem Tropenhelm am Kinnriemen
rief: Für diese Kunst brauchen wir neue Organe.
Sie' verlangte, man solle sich außer Auge und Ohr
neue Oeffnungcn schaffen, durch die diese Kunst
eindringen könne.
Ein Mädchen sagte schüchtern, es fände alles wun-
derschön, könne aber nicht erklären warum. Man
sagte etwas herablassend, weil in diesen Bildern
Humanität (nein, Aggression!), Aussage (hach nein,
Innenschau!), Gefühl (nur Verstand!), malerisches
Empfinden (reine Dekoration!), innere Schönheit
(Mut zur Häßlichkeit!) stecke. Alle bewiesen alles
und das Gegenteil. Einer verlangte den Irrenarzt,
der andere Mäzene für diese Kunst.
Ein wackerer Mann, im Gedenken an die so leicht
verständlichen Schönheiten im „Haus der deutschen
Kunst", fragte nicht ohne Erbitterung: und was,
wenn einem deutschen Menschen die Frage gestattet
sei, welche Gegenstände sollten diese Bilder denn-
^darstellen??
Hiermit schloß sich wohltuend der Kreis der Dis-
kussion. Denn einstimmig konnte ihm erklärt wer-
den, daß es sich doch gerade um gegenstands lose
Malerei handle ,,Ach — drum!" sagte er bloß
Und glaubte nun wenigstens zu verstehen, warum
er nichts verstand. hf;i .,om
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Nein, die Siegerin von der Münchner Schönheitskonkurvenz
bin ich nicht, aber ich arbeite auch bei den Amis.
BAYERNPAKTEI IM ZUG
Das Wandern ist des Müllers Lust sagten sich viele Wähler im schönen
Monat Mai und verließen den Umsteigbahnhof CSU.
Nun. besonders wohl fühlten sie sich dort nie. Schwarze, rauchgeschwän-
gerte Hallen, ständige Zänkereien an den brüchigen Flügelseiten, dazu der
robuste Vorstand Dr. Müller waren nicht jedermanns Geschmack. Dies
konnte man auch von den fleischlosen Gerichten des Bahnhofwirtes
Schlögl sagen. Sonderzüge nach Ellwangen und Rom, vor allem der
Alpen-Nordsee-Expreß via Frankfurt steigerten das Mißbehagen der hung-
rig Wartenden. Selbst das beschwichtigende Eingreifen von Kondukteur
Ehard und der hilfsbereite Flügeltürhalter Horlacher' konnten dieses nicht
mehr mindern. Vergeblich forderte der frühere Fahrdienstleiter Schäffer
Fahrplanänderung. Auch sonst war füi die\Umsteiger nicht viel zur Aus-
wahl Nur die üblichen Garnituren standen auf alten ausgefahrenen Ge-
leisen bereit: 2 Arbeiterzüge in Richtung Ost und West, 1 FDP-Train
für Großkaufleute, 1 Güterzug für Ausgewiesene, 1 WAV-Vorläufer,
1 -D-Blck-Nachläufer und 1 Dieseltriebwagen für unschlüssige Wähler.
Begreiflich, daß viele der Umsteigenden in den
weiter rechts befindlichen Bahnhof der neugegrün-
deten Bayerischen Lokalbahn strömten. Dafür
sorgte schon mit lauter Stimme Zugschaffner
Fischbacher. Auch die altväterlich weißblau um-
ränderten Werbeprospekte ermunterten sehr zu
Benützung der gemütlichen Eisenbahn. Was
wurde da nicht alles geboten: Bevorzugte Platz-
karte für Einheimische, natürlich Eckfenster-
sitz, der ungeschmälerten Genuß der vorbeiglet-
tenden bayerischen Heimat ermöglicht. Kein
Gedränge mehr, da Bahnsteige und Abteile von
Preußen, Evakuierten und ähnlichen Ausländern
gesäubert sind. Daher kann auch wieder reich-
lich Reiseproviant, wie Speck, Eier, Käse, Butter,
Brot und Bier, alles im Lande erzeugt, auf den
Büfetts angeboten werden. Statt der rußenden
mit Ruhrkohlen gespeisten Lokomotiven rollen
autarke Eloks, die ihre Kraft aus bayerischen
Gewässern beziehen. Gemütlich dialektspre-
chende Beamte ersetzen den schnarrenden rot-
bemützten Mefehlsgeber. Die Zulassung bestimmt
der Herrgott, da Fahrkarten nur gegen Vor-
zeigung des Geburtsscheines erhältlich sind. Nur
Bayern dürfen fahren.
Hoffentlich können die Umsteiger nun bald die
Fahrt ins ungewisse Blaue beginnen. Vielleicht
werden sie dann ihre weißblauen Wunder er-
leben? Adalbert Lech
EXISTENTIALISTEN
Versnobter Existenzler greift ins volle Leben,
denn du sollst da-sein, nicht daneben.
Man lechzet modisch nach der Vergeworfenheit
und säubert sein Milieu adrett von Gott und Zeit.
Pardon für vieles oder alles gibt die Welt,
du hast die Wahl — erlaubt ist, was mißfällt.
Alleinsein ist noch keine Einsamkeit,
die Kümmernis nicht Angst.
Das Sein ist monoton und breit,
sei nur zum Tode, dem du alles dankst.
Bis dahin sei spontan, nachlässig elegant und frei,
sei freiend — leihend — seiend.
Blase das Saxophon oder Schalmei.
Das Dasein ist umfaßt, ob liebend oder speiend.
Ihr Männer mit dem Entenschopf,
Blaustrümpfe, garantiert verkehrt! ,
Philoso-viel ist im Cafehaushexenkesseltopf
Philoso-falsch vermixt und existentiell hineingeleert.
Fürwahr ein toller Wurf.
Geworfenheit partout.
Man wirft die ganze Existenz ins Spiel,
das Nichts ist eine Art von blinder Kuh! . i,„ia
H. Huth
WO SIE'S NUR HERHABEN?
GEGENSTANDSLOSE DJSKUSSION
An den Wänden des kleinen Kabinetts hing lauter abstrakte Malerei. Davor
standen Hausfrauen, Kunstmaler, Studenten, Malfräuleins, umgeschulte Block-
warte, Kunstgewerblerinnen, Schwarzhändler, Schriftsteller und andere. Zwischen
breiten Rahmen wimmelte es von Kreisen, Winkeln und Pfeilen. Linienbündel
schössen in Rechtecke, Schlangenlinien entwanden sich gleichschenkeligen Drei-
ecken, Kugeln schwebten in und über anderen Kugeln, Kreise ringelten sich
konzentrisch ineinander oder schnitten sich gegenseitig in Stücke. Eine Tangente
ward zum aufregenden Erlebnis, Farbwolken segelten aufeinander zu, auf
glühende Gase legten sich eiskalt sachliche Oktogene — es war allerhand los.
Die Beschauer klammerten sich an die Unterschriften und suchten aus der
gegenständlichen Welt ihrer Vorstellung heraus einen Halt in einer Erklärung
des Abstrakten. Aber die Bilder hießen: Komposition I, II, III oder Scherzo,
Intermezzo, Fortissimo oder Umarmung oder Zärtlichkeit. Ein weites Feld. Ver-
zweifelte Wüstlinge suchten in der abstrakten Erotik die gegenstandslose Porno-
graphie. Eine kühne interessante Variante. Nicht alle schienen sie zu finden.
Irgendwo zirpte die Frage, was die Bilder denn aussagen wollten? Jemand
sagte: Nichts, das ist doch das Abstrakte dran. Ein Maler griff scharf einen
seiner Meinung nach allzu spitz ins Bild gesetzten roten*Punkt an. Der Punkt
jedoch war grün. Ein Malfräulein trat den Beweis an, daß wir in einer magischen
Zeit lebten. Die Schwarzhändler fühlten sich davon sehr angesprochen. Ein
Kunstschriftsteller sprach einen längeren Artikel, ein zweiter bezog sich immerzu
auf den ersten. Ein Kind sagte: Ui, die Großmutti — und deutete auf ein
orangefarbenes Fünfeck, das in einer braun-grünen Dolde hing.
Eine Dame -mit einem Tropenhelm am Kinnriemen
rief: Für diese Kunst brauchen wir neue Organe.
Sie' verlangte, man solle sich außer Auge und Ohr
neue Oeffnungcn schaffen, durch die diese Kunst
eindringen könne.
Ein Mädchen sagte schüchtern, es fände alles wun-
derschön, könne aber nicht erklären warum. Man
sagte etwas herablassend, weil in diesen Bildern
Humanität (nein, Aggression!), Aussage (hach nein,
Innenschau!), Gefühl (nur Verstand!), malerisches
Empfinden (reine Dekoration!), innere Schönheit
(Mut zur Häßlichkeit!) stecke. Alle bewiesen alles
und das Gegenteil. Einer verlangte den Irrenarzt,
der andere Mäzene für diese Kunst.
Ein wackerer Mann, im Gedenken an die so leicht
verständlichen Schönheiten im „Haus der deutschen
Kunst", fragte nicht ohne Erbitterung: und was,
wenn einem deutschen Menschen die Frage gestattet
sei, welche Gegenstände sollten diese Bilder denn-
^darstellen??
Hiermit schloß sich wohltuend der Kreis der Dis-
kussion. Denn einstimmig konnte ihm erklärt wer-
den, daß es sich doch gerade um gegenstands lose
Malerei handle ,,Ach — drum!" sagte er bloß
Und glaubte nun wenigstens zu verstehen, warum
er nichts verstand. hf;i .,om
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Wo sie's nur herhaben"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Nein, die Siegerin von der Münchner Schönheitskonkurrenz bin ich nicht, aber ich arbeite auch bei den Amis."
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 12, S. 136.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg