R.Schlichter; REMILITARISIERUNG
Lieber Leser! Wieder hat man dich ein Jahr lang
umeinandergeschoben, über dich entschieden und
verfügt, ohne dich überhaupt nur zu fragen; und
wenn man dich fragen mußte, liat man sich um
deine Antwort weiter nicht gekümmert. Deine
Partei vertritt in deinem Namen Meinungen und
begeht Handlungen, die du womöglich bedauerst
— wenn du überhaupt davon erfährst —, dein
Berufsverband fällt Urteile, mit denen du u. U.
als Mitglied gar nicht einverstanden bist und deine
Gewerkschaft ordnet ohne dich zu fragen an,
wann du die Arbeit niederzulegen und auf deinen
Lohn zu verzichten hast. Die Regierung erläßt
Gesetze, die wohl sittlich sein mögen, aber nicht
gerade dringend, erschwert dir unter dem Vor-
wand von Kontrollen und Regelungen dein Dasein
und erfindet neue Steuern zur Erhaltung ihres
Beamtenapparates. Der Beamtenapparat behandelt
dich dafür bestenfalls wie einen Hund, dessen
Steuermarke bereits verfallen ist.
Und in diesem Jahre? Dieses Jahr wird man noch
besser mit dir umspringen, weil es im vergangenen
Jahr so gut geklappt hat. Solltest du dich be-
klagen, so bekommst du den Bescheid, du hättest
dich der „Parteidisziplin", dem „Gewerkschafts-
gedanken" oder etwas ähnlichem unterzuordnen,
bzw. du seist ein „Verräter an der Staatsidee",
ein „Schädling der Berufsehre" und dein Protest
völlig „undemokratisch".
Auf jeden Fall wirst du zu einem mehr oder
weniger schlechten Menschen gestempelt, je nach-
dem um welche Partei, Körperschaft oder Organi-
sation es sich handelt. Man erwartet von dir —
wenn schon keine nützliche Aktivität — so doch
stets eine „freundliche Passivität".
Nun, da freundliche Passivität ja keinerlei An-
strengung erfordert, dürfte es dir auch nicht schwer
fallen, daraus ein Prinzip zu machen. Wie wäre
es, wenn du zunächst einmal freundlich aus deiner
Partei oder aus deinem Berufsverband austreten
Gute Vorsätze
würdest? Du sparst dir mit diesem Schritt künftig
Beiträge, langweilige Versammlungen und Ärger,
was dich ja nur noch freundlicher stimmen kann.
Soviel hast du für dich jedenfalls gewonnen.
Findet diese Art freundlicher Passivität viele
Nachahmer, so werden sich Parteien oder Ver-
bände vor die Alternative gestellt sehen, entweder
an Mitgliederschrumpfung einzugehen oder sich
ihrerseits dem Einzelnen gegenüber einer gewissen
Rücksichtnahme und Freundlichkeit zu befleißigen.
Bestenfalls werden sie aber gar nicht erst vor die
Wahl gestellt, sondern verschwinden freundlicher-
weise gleich ganz von der Bildfläche. Und das
würde vor allem das Bild unseres politischen
Lebens wesentlich freundlicher aussehen lassen.
Auch bei Wahlen, gleichgültig welcher Art,- wäre
es für dich von Vorteil, wenn du grundsätzlich
nur Leuten deine Stimme geben würdest, die
erstens keiner Partei angehören und zweitens einen
freundlichen Eindruck machen. Werden solche
nicht angeboten, bleibe der Wahl ganz einfach
aber freundlich fern! Auf diese Weise bringen wir
es noch zu einem Parlament, das mangels Frak-
tions- und Intriguenwirtschaft in aller Freundlich-
keit vernünftige Gesetze zuwege bringen könnte.
Da jedoch Gesetze, sobald sie vernünftig sind,
Ausbeutung und Härten ausschließen, werden alle
Berufsverbände von selbst überflüssig.
Du mußt deine freundliche Passivität nur richtig
ernst nehmen, dann wird man auch vorsichtiger
mit dir verfahren. Bekommst du z. B. eine amt-
liche Vorladung in Befehlsform zugestellt, bleibe
passiv und gehe grundsätzlich ein — zwei Tage
später hin, um freundlich nachzufragen, was man
von dir wünscht. Du kommst dann immer noch
früh genug, um schlecht behandelt zu werden.
Selbst im engsten Familienkreis fährst du mit dem
Prinzip nicht schlecht. Du kannst zwar deine ML-
gliedschaft nicht so ohne weiteres niederlegen,
doch erspart die freundliche Passivität manche
Auseinandersetzung. Wirst du trotzdem zum
schlechten Menschen gestempelt, so tröste dich da-
mit, daß diese Diskrimierung weder politischen
noch offiziellen Charakter trägt und sei jedenfalls
dir selbst gegenüber von ausgesprochen freund-
licher Passivität.
Aber nach allem, was man für die freundliche
Passivität tun müßte, um sie wirksam werden zu
lassen, ziehst du es natürlich vor, nicht den Pas-
siven in der Familie zu spielen, pünktlich auf
Vorladung hin zu erscheinen, bei der nächsten
Wahl frühmorgens um acht Uhr die nächstbeste
Parteiliste zu wählen, die Angestellten deines Be-
rufsverbandes weiterhin mit deinen Beiträgen zu
unterstützen und im großen und ganzen mit dir
umspringen zu lassen. Denn, so wirst du sagen,
was nützt der Einzelne, solange sich nicht alle
freundlich Passiven zusammenschließen?
In der Tat, sogar eine „Bewegung der freundlichen
Passivität" würde bei uns gar bald eine unfreund-
liche Aktivität entwickeln. -pet-
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Lieber Leser! Wieder hat man dich ein Jahr lang
umeinandergeschoben, über dich entschieden und
verfügt, ohne dich überhaupt nur zu fragen; und
wenn man dich fragen mußte, liat man sich um
deine Antwort weiter nicht gekümmert. Deine
Partei vertritt in deinem Namen Meinungen und
begeht Handlungen, die du womöglich bedauerst
— wenn du überhaupt davon erfährst —, dein
Berufsverband fällt Urteile, mit denen du u. U.
als Mitglied gar nicht einverstanden bist und deine
Gewerkschaft ordnet ohne dich zu fragen an,
wann du die Arbeit niederzulegen und auf deinen
Lohn zu verzichten hast. Die Regierung erläßt
Gesetze, die wohl sittlich sein mögen, aber nicht
gerade dringend, erschwert dir unter dem Vor-
wand von Kontrollen und Regelungen dein Dasein
und erfindet neue Steuern zur Erhaltung ihres
Beamtenapparates. Der Beamtenapparat behandelt
dich dafür bestenfalls wie einen Hund, dessen
Steuermarke bereits verfallen ist.
Und in diesem Jahre? Dieses Jahr wird man noch
besser mit dir umspringen, weil es im vergangenen
Jahr so gut geklappt hat. Solltest du dich be-
klagen, so bekommst du den Bescheid, du hättest
dich der „Parteidisziplin", dem „Gewerkschafts-
gedanken" oder etwas ähnlichem unterzuordnen,
bzw. du seist ein „Verräter an der Staatsidee",
ein „Schädling der Berufsehre" und dein Protest
völlig „undemokratisch".
Auf jeden Fall wirst du zu einem mehr oder
weniger schlechten Menschen gestempelt, je nach-
dem um welche Partei, Körperschaft oder Organi-
sation es sich handelt. Man erwartet von dir —
wenn schon keine nützliche Aktivität — so doch
stets eine „freundliche Passivität".
Nun, da freundliche Passivität ja keinerlei An-
strengung erfordert, dürfte es dir auch nicht schwer
fallen, daraus ein Prinzip zu machen. Wie wäre
es, wenn du zunächst einmal freundlich aus deiner
Partei oder aus deinem Berufsverband austreten
Gute Vorsätze
würdest? Du sparst dir mit diesem Schritt künftig
Beiträge, langweilige Versammlungen und Ärger,
was dich ja nur noch freundlicher stimmen kann.
Soviel hast du für dich jedenfalls gewonnen.
Findet diese Art freundlicher Passivität viele
Nachahmer, so werden sich Parteien oder Ver-
bände vor die Alternative gestellt sehen, entweder
an Mitgliederschrumpfung einzugehen oder sich
ihrerseits dem Einzelnen gegenüber einer gewissen
Rücksichtnahme und Freundlichkeit zu befleißigen.
Bestenfalls werden sie aber gar nicht erst vor die
Wahl gestellt, sondern verschwinden freundlicher-
weise gleich ganz von der Bildfläche. Und das
würde vor allem das Bild unseres politischen
Lebens wesentlich freundlicher aussehen lassen.
Auch bei Wahlen, gleichgültig welcher Art,- wäre
es für dich von Vorteil, wenn du grundsätzlich
nur Leuten deine Stimme geben würdest, die
erstens keiner Partei angehören und zweitens einen
freundlichen Eindruck machen. Werden solche
nicht angeboten, bleibe der Wahl ganz einfach
aber freundlich fern! Auf diese Weise bringen wir
es noch zu einem Parlament, das mangels Frak-
tions- und Intriguenwirtschaft in aller Freundlich-
keit vernünftige Gesetze zuwege bringen könnte.
Da jedoch Gesetze, sobald sie vernünftig sind,
Ausbeutung und Härten ausschließen, werden alle
Berufsverbände von selbst überflüssig.
Du mußt deine freundliche Passivität nur richtig
ernst nehmen, dann wird man auch vorsichtiger
mit dir verfahren. Bekommst du z. B. eine amt-
liche Vorladung in Befehlsform zugestellt, bleibe
passiv und gehe grundsätzlich ein — zwei Tage
später hin, um freundlich nachzufragen, was man
von dir wünscht. Du kommst dann immer noch
früh genug, um schlecht behandelt zu werden.
Selbst im engsten Familienkreis fährst du mit dem
Prinzip nicht schlecht. Du kannst zwar deine ML-
gliedschaft nicht so ohne weiteres niederlegen,
doch erspart die freundliche Passivität manche
Auseinandersetzung. Wirst du trotzdem zum
schlechten Menschen gestempelt, so tröste dich da-
mit, daß diese Diskrimierung weder politischen
noch offiziellen Charakter trägt und sei jedenfalls
dir selbst gegenüber von ausgesprochen freund-
licher Passivität.
Aber nach allem, was man für die freundliche
Passivität tun müßte, um sie wirksam werden zu
lassen, ziehst du es natürlich vor, nicht den Pas-
siven in der Familie zu spielen, pünktlich auf
Vorladung hin zu erscheinen, bei der nächsten
Wahl frühmorgens um acht Uhr die nächstbeste
Parteiliste zu wählen, die Angestellten deines Be-
rufsverbandes weiterhin mit deinen Beiträgen zu
unterstützen und im großen und ganzen mit dir
umspringen zu lassen. Denn, so wirst du sagen,
was nützt der Einzelne, solange sich nicht alle
freundlich Passiven zusammenschließen?
In der Tat, sogar eine „Bewegung der freundlichen
Passivität" würde bei uns gar bald eine unfreund-
liche Aktivität entwickeln. -pet-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Remilitarisierung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 1, S. 5.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg