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Schulz, Hugo [Oth.]; Conradus <de Megenberg> [Oth.]
Das Buch der Natur: die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache — Greifswald, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.2070#0198
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sehen können, bringen ihnen die Jungen ein Kraut, das ihnen
von Natur bekannt ist. Damit salben sie den Alten die Augen
und so werden diese wieder sehend. Jacobus sagt, wenn man sich
vor Schlafengehen die Schläfe mit Widehopfblut einreibe, glaube
man im Traume, die bösen Geister wollten einen tödten. Das Herz
des Widehopfs wird von den Zauberern und heimlichen Uebelthätern
vielfach benutzt. Ich will hierauf aber um Gottes Willen nicht
näher eingehen. Auch unser lateinischer Text sagt Nichts darüber.
Der Widehopf ist das Sinnbild jedes Menschen, der unter
einem guten Aeussern seine Schlechtigkeit verbirgt und ein unge-
treues Herz hat, oder mit andern Worten: im Herzen das Eine
denkt und mit dem Munde das Andere spricht. Im Sommer, wo
sie es gut haben und ihnen Niemand entgegen tritt, sind sie laut,
sollen sie aber mit den Guten kämpfen und rechten, so verstummen
sie. Pfui über Dich, Du Schandritter, Du seiest Laie oder Pfaffe,
wie trägst Du die Ehrenkroue in Falschheit, ohne männlichen Sinn
und ohne alle Wahrheit!

1%. Vom Geier.

Vultur heisst ein Geier.1) Nach Plinius besitzen seine Federn
die Eigenschaft, dass die Schlangen ihren Geruch fliehen, wenn
man sie im Feuer verbrennt. Er giebt auch an, dass der Mensch,
der ein Geierherz an der Seite trage, sicher sei vor bösen Thieren,
Schlangen und anderem Gewürm. Die Geier wittern das Aas über
das Meer hin, grade wie der Adler auch. Isidorus sagt, der
Geier fresse von seiner Beute zuerst die Augen. Er folgt den
Heereszügen, damit ihm reichlich Beute zufalle, und freut sich des
Krieges und Streites. Der Geier hat die Eigenart, wenn er er-
wachsen ist und sieht, dass seine Mutter schwach und zum Fliegen
untüchtig geworden ist, sie umzubringen. Will ein anderer Vogel,
auch wohl ein stärkerer als er selbst ist, des Geiers Junge schädigen,
so wagt er sein Leben für seine Brut, schlägt mit den Flügeln
und verwundet mit den Krallen. Wenn die Jungen üügge sind,
vertreibt die Alte sie vom Nest. Sie thut es der Nahrung wegen,
weil ein Geierpaar, also ein Männchen und ein Weibchen, einen
grossen Bezirk für ihre Nahrung nothwendig haben. Der Geier
raubt nicht in der Nähe seines Nestes, damit er die Leute in der
Nachbarschaft nicht gegen sich erzürnt. Beim Rauben trägt der

x) Nach der hier gegebenen Beschreibung ist wohl an den Aasgeier,
Neophron percnopterus Gray u. verwandte Arten zu denken.
 
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