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16. Vom Klager.

Nereides1) mögen Klager heissen. Es sind Meerwunder, deren
Leib ganz rauh und scharf ist, und deren Gestalt von der des
Menschen abweicht. Indessen gleicht ihre Art und Weise einiger-
massen der menschlichen, und ihre Stimme hört sich an, als ob sie
klagten und weinten, wenn eins von ihnen sterben muss. Die
Leute, welche in der Nähe sind, hören dann ihr Wehklagen. So
zeigen sie in ihrer Trauer an, wie bitter für alle sterblichen Wesen
des Todes Angst und Noth ist. Dies Thier ist ein Sinnbild aller
bekehrten Sünder, die ihre Sünden beweinen und beklagen und
dabei betrachten, wie kurz die Freuden in dieser elenden Welt
dauern.

17. Ton den Meerweibern.

Sirenen sind Meerwunder mit sehr schöner Stimme, wie
Aristoteles sagt. Deutsch mag man sie Meerweiber nennen, da sie
vom Haupt bis zum Nabel wie ein Weib gestaltet sind. Sie sind
gross und schön gewachsen, ihr Gesichtsausdruck ist sehr grausam,
auf dem Haupt haben sie langes, hartes Haar, wie P'ferdehaare. Sie
werden auf dem Meer oftmals sichtbar mit ihren Jungen, die sie
auf den Armen tragen wie die Frauen ihre Kinder. Sie haben stark
entwickelte Brüste, mit denen sie ihre Junten säugen. Der untere
Körper dieses Thieres ist, nach Adelinus, wie der Unterkörper des
Adlers gebaut. An den Füssen hat das Thier sehr scharfe Krallen,
mit denen es seine Beute zerreisst. Endlich hat es einen Schwanz
mit Schuppen, wie ein Fisch, mit dem es im Wasser schwimmt.
Es singt aussergewöhnlich schön, jedoch ist seine Stimmt nicht, wie
beim Menschen, artikulirt, sondern wortlos, wie die der Vögel. Hören
die Schiffer ihren Gesang, so schlafen sie, von seiner Lieblichkeit
bezaubert, leicht ein und werden dann von den Meerweibern zer-
rissen. Desshalb verstopfen die Schiffer ihre Ohren, damit sie den
Gesang nicht hören können und gerathen in grosse Angst, wenn sie
die Sirenen oder Meerweiber zu Gesieht bekommen. Dies Thier
ist mir ein Sinnbild der sittenlosen Weiber, die die weibliche Zucht
verläugnet haben und manchen Mann zur Sünde verleiten.

') Wie die Sirenen und die Scylla mythologische Gebilde.
 
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