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Adama van Scheltema, Frederik
Die altnordische Kunst: Grundprobleme vorhistorischer Kunstentwicklung — Berlin: Mauritius-Verl., 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.62960#0168
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132 STILMERKMALE DER SPÄTEREN ENTWICKLUNGSPHASE
spricht das Wellenband der späteren Bronzezeitphase durchaus dem spät-
neolithischen Winkelband. Daß in Mitteleuropa dieses Winkelband seiner-
seits aus einem Spiral- und Bogenband hervorging, bestätigt in willkommener
Weise diese Verwandtschaft. Auch das Winkelband war aus dem Bestreben zu
verstehen, statt der trockenen Reihung isolierter Elemente eine durchgehende
Bewegung zu geben, auch bei ihm ergab sich schon eine gewisse Unteilbarkeit
des Musters auf Grund der Tatsache, daß jede Zerlegung die Halbierung irgend-
eines Schenkelpaares bedeutete. Weiterhin sehen wir sowohl in der späteren
Stein- als Bronzezeit den Übergang von der mathematischen, körperlosen und
dadurch vom Grund abhängigen Linie zum körperhaften, in sich gefestigten
Band. Die organische Zusammenfassung der isolierten Elemente der früheren
Bronzezeit zu den organbehafteten, in sich differenzierten Wesen der Spätzeit
entspricht der in der Spätneolithik beobachteten primitiven Organisation der
geradlinigen Teile zu zusammenhängenden Omamentsystemen bzw. zum Farn-
blatt-, Tannenzweigmuster usw. Noch ein äußerst bezeichnendes Detail sei hier
erwähnt: in verschiedenen spätneolithischen Gruppen war das Bestreben fest-
zustellen, die „kristallinische“ Isolierung des Ornaments von seiner Umgebung
aufzuheben durch begleitende Punktreihen. Genau die gleiche Erscheinung zeigt
sich in der späteren Bronzezeit, wo die streng lineare Begrenzung des Wellen-
bandes gerne durch begleitende, punktierte Linien aufgehoben wird, so daß die
Form gleichsam in ihre Umgebung ausstrahlt (Abb. 26). Werden diese punk-
tierten Linien aber durch Reihen vertikaler Strichelchen, die an dem Körper
haften, ersetzt (Abb. 25c), so zeigen sie sich als ein „Haarkleid“, das sich be-
sonders an den blütenartigen Abschlüssen der Ranken Verzweigungen sofort als
solches zu erkennen gibt (Abb. 25 c). Bei dieser weitgehenden Übereinstimmung
und nach dem, was wir in der Spätentwicklung der früheren Bronzezeit fest-
gestellt haben, spielt der Wechsel von Grund und Muster eine geringere Rolle
als man erwarten sollte. Allerdings ist die überraschende Umkehrbarkeit der
gegebenen Form, die absichtlich erzeugte Zweideutigkeit, auch hier von aus-
schlaggebender Bedeutung bei diesen ineinander verschränkten, reziproken
Mustern, bei denen nicht zu entscheiden ist, welche Form eigentlich die primäre,
beabsichtigte, welche die zufällige Ergänzung sein soll. Aber nur bei wenigen
dieser Wellen- und Rankenmuster wird der Grund in dieses dialektische Spiel
einbezogen: bei dem sehr beliebten Muster Abb. 25b schließen die breiten
Wellenbänder, deren Verlauf nicht mehr so leicht erkennbar ist, schmale,
S-förmige Streifen des glatten Grundes ein, die nun auf den ersten Anblick für
das einfachere Muster gehalten werden können. Im Original zur Abb. 26b wir-
ken die eingeschlossenen bohnen- oder nierenförmigen Grundflächen stärker als
Muster, als hier in der vergrößerten Darstellung; es gibt aber auch Beispiele,
daß ein schmales, linzenförmiges „Grundmuster“ vom geschlossenen Fluß
der breiten, in ihrer Struktur schwer verständlichen, Wellenbänder um-
spült wird1.
Bei der malerischen Tendenz der Kunstform, die wir hier, in dieser späten
s. Vgl. S. Müller, Ordning af Danmarks Oldsager, Bronzealdern, Abb. 396.
 
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