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VORWORT

Dieses Werk ist ein Versuch, das unerschöpflich reiche Gebiet der vor-
geschichtlichen Kunst für die wissenschaftliche Kunstforschung zu er-
schließen und eine Annäherung zwischen Kunstgeschichte und Prä-
historie anzubahnen. Solange die Kunstwissenschaft reine Tatsachenforschung
war, brauchte sich die willkürliche Aufteilung der gesamten Kunstentwicklung
in zwei Abschnitte, in deren Untersuchung sich die scharf getrennten Disziplinen
der Prähistorie und der Kunstgeschichte teilen, nicht störend bemerkbar zu
machen. Die Vielheit der Tatsachen und ihre stetig wachsende Zahl verlangte
sogar gebieterisch eine solche Arbeitsteilung: der Vorgeschichtsforscher sam-
melte und ordnete das Material bis zu dem Punkt, wo die gleiche Arbeit des
Kunsthistorikers oder des klassischen Archäologen einsetzte. Auf diese Weise
konnte sich mit der Zeit das Ideal der Tatsachenforschung, die Ermittlung alles
erreichbaren Materials und dessen Einordnung in eine lückenlose Reihe, erfüllen.
Diese Richtung in der Kunstwissenschaft, die das Wissen um die Kunstwerke
sich zum Ziele setzt, hat ihren unbestrittenen Wert; sie war notwendig und wird
das immer bleiben. Andererseits aber darf sich der Tatsachenforscher nicht
wundem, wenn sich allmählich ein ganz neues wissenschaftliches Interesse an
der Entwicklung der Kunst zu regen begann, denn er selber schuf ja dazu die
Voraussetzung. Im gleichen Maße, wie die Arbeit des Tatsachenforschers ge-
dieh, die Lücken in der gesicherten Aufeinanderfolge der geschichtlichen Kunst-
werke sich schlossen, die zeitliche und örtliche Zusammengehörigkeit dieser
Werke klarer zu überblicken war, mußte sich die Erkenntnis durchsetzen, daß
es sich um noch etwas ganz anderes handele als um ein beziehungsloses Neben-
und Nacheinander von einzelnen Kunsterscheinungen, Künstlern, Schulen usw.
Man erkannte, daß die in einem Querschnitt durch die Entwicklung enthaltenen
Kunsterscheinungen, so artverschieden und wertverschieden sie sonst auch sein
mögen, einem gemeinsamen Gestaltungsprinzip unterliegen. Man versuchte
dieses Gestaltungsprinzip, den Stil, nicht nur gefühlsmäßig, sondern auch be-
grifflich genau zu bestimmen; man fand, daß sich im Wandel der künstlerischen
Gestaltung eine gewisse Gesetzmäßigkeit offenbart und daß sich die Ablösung
der gleichen Gestaltungs- oder Stilprinzipien im Lauf der Entwicklung wieder-
holen kann. Neben die Tatsachenforschung trat die begriffliche Kunstfor-
schung, deren letztes Ideal nun nicht mehr das Wissen um alle Tatsachen und
 
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