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Adama van Scheltema, Frederik
Die altnordische Kunst: Grundprobleme vorhistorischer Kunstentwicklung — Berlin: Mauritius-Verl., 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.66516#0035
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NATÜRLICHER RHYTHMUS

II


Abb. 3. Nichtornamentale Reihung.
Zeichnung auf Knochen aus Mas d’Azil, Ariege.

länglichen Knochenstücken, Meißeln, Wurfspeerspitzen oder dergleichen er-
scheinen, dem Geräteornament ähnlich werden können. Hier sei nun bemerkt,
daß die gleichmäßige Wiederholung von Tieren, Köpfen oder auch einfachen
Zeichen noch keineswegs das Zeichen einer neuen, ornamentalen Gesinnung zu
sein braucht. Es wird leicht übersehen, daß die regelmäßige Anordnung in sehr
vielen Fällen die primäre ist, ja, daß gerade dort, wo die Überlegung oder der
Wille ausgeschaltet ist, diese Anordnung als die natürliche erscheinen muß. Bei
jeder fortgesetzten Handlung wird, solange keine besonderen Gründe — Er-
müdung, Widerstände, neue Willensorientierung — vorliegen, das Ergebnis eine
sichtbare oder hörbare Regelmäßigkeit sein. Es scheint mir sogar unangebracht,
diesen natürlichen Rhythmus, den wir alle beim Gehen, Rudern, Klopfen usw.
erzeugen, auf jenen anderen Rhythmus, den des menschlichen Organismus,
zurückzuführen; die regelmäßige Wiederkehr des Gleichen ist, wenn keine be-
sonderen Faktoren eintreten, so sehr logisch begründet, daß sie diese physio-
logische Erklärung nicht braucht.
Als Beispiel eines natürlichen Rhythmus möchte ich die Kerbreihen in Abb. 3
betrachten, die neben den etwas schematisierten Pferdeköpfen auftreten und
sich offenbar gleich beziehungslos zu diesen wie zu dem Knochenstück, auf dem
sie angebracht sind, verhalten. Auch hier erklärt sich die annähernd regelmäßige
Anordnung der aus Zeitvertreib, Spieltrieb oder ähnlichen Gründen angebrach-
ten Einschnitte aus dem einfachen Grunde, daß erst das Eintreten neuer, an-
dersgerichteter Willensimpulse diese Regelmäßigkeit aufheben würde. Sie sind
aus demselben Grunde gereiht wie die Fußspuren ihres Urhebers, wenn er ge-
dankenlos seines Weges ging. Nicht viel anders steht es mit den regelmäßigen
Strichlagen, die so oft in der Tierdarstellung als Innenzeichnung oder Beglei-
tung der Kontur auftreten und oft, aber nicht immer, als schematische Be-
handlung der Behaarung, Mähnen und dergleichen zu verstehen sind (Abb. 3).
Tritt diese Strichelung als bloße Begleitung der Umrißlinie auf, so verhält sie
sich genau so zur Tierform wie ein wirkliches Gerätornament zur Gerätform.
Für den Übergang zum Gerätornament ist diese höchst eigenartige „Tierorna-
mentik“ natürlich ohne Bedeutung. Sie haftet eben am Tierbild und erscheint
 
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