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DAS WELLENBANDMUSTER

sehen Kreisen oder Spiralen gefüllten Zellen des früheren Stils, die höchstens
durch eine dünne Schnur verbunden wurden, werden jetzt gleichsam gesprengt
und aus ihnen ergießt sich als breites Band — nicht als körperlose Linie! —
die Welle oder Ranke, die sich ununterbrochen weiterschlingt und ihre Ver-
zweigungen aussendet. Auch wenn wir des tatsächlichen Herganges der voll-
zogenen Entwicklung, der Entstehung aus der Vielheit der Randbogen, ge-
denken, bleibt das Ergebnis das gleiche: statt einer Vielheit selbständiger Ele-
mente zeigt sich ein einziges, von einem Saft durchströmtes, immer weiter
kriechendes oder schlängelndes Individuum. Auch hier wiederholen sich regel-
mäßig die gleichen Elemente, aber diese beteiligen sich an dem gemeinsamen
Leben, sind in den einen Fluß aufgenommen. Sie stellen sich nicht als selb-
ständige Wesen dar, sondern sind eher den gleichförmigen Organen — Blättern,
Ranken — der Pflanze vergleichbar, wie denn überhaupt das Erscheinen einer
schematisch dargestellten Ranke inmitten dieser Formen kaum auf fallen würde.
Gibt es doch Fälle, wo sich aus dem freien Ende der Rankenschlingungen zuerst
runde Knospen, dann jene eigentümlichen Formen entwickeln, die, obwohl von
animalischer Abstammung, an dieser Stelle und in dieser Umwandlung durch-
aus den Eindruck von Blüten (Lippenblumen) erwecken (Abb. 25b — 26a —
25c). Der Gegensatz ist also, an einem Vergleich mit der natürlichen Form-
entwicklung beleuchtet, klar: diese fertigen Formen unserer 2. Stilphase ver-
halten sich zu den Leitformen der 1. Phase wie die bewegende, in stetem Wachs-
tum begriffene, stetig die Form wechselnde und doch die gleichen Formen
wiederholende Pflanze sich zum ruhenden, in sich beschlossenen Samenkorn
verhält. Denn die Spiralbildung der frühen Bronzezeit erschien noch als eine
interne Angelegenheit, als ein inneres Wachstum der Zelle, die Spirallinie blieb
im Kreise ein gekapselt, griff nicht über ihn hinaus in den umliegenden Grund.
Nichts ist da lehrreicher als ein Vergleich zwischen den so sehr verwandten
Bildungen des frühen Spiralkreis- und des späten Spiralbandornaments
(Taf. XI und Taf. XII innere Zone).
Wie sehr es auf dieses Bewegen, dieses unausgesetzte Weitergleiten ankommt,
zeigt sich darin, daß es uns auf verschiedene, manchmal ganz raffinierte Weise
unmöglich gemacht wird, diese komplizierten „Individuen“ in einzelne Teile
zu zerlegen. Die Schlingen greifen in- und übereinander, jede findet in der vor-
hergehenden ihre Voraussetzung, oder auch zwei Reihen von Formen a und b
erscheinen so verkettet, daß die b-Elemente sich jeweils als komplementäre Form
zweier benachbarten a-Elemente ergeben: es ist nicht möglich, die a-Elemente

Abb. 26. Wellenbandmuster von einem Hängebecken aus Oranienburg.
Berlin. Prähistorische Sammlung.
 
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