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Hausmann, Raoul; Große Berliner Kunstausstellung <1921, Berlin>
Führer durch die Abteilung der Novembergruppe: Kunstausstellung Berlin 1921 — Berlin: Otto Elsner, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.47093#0006
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Die schöpferischen Leistungen der frühen Zeiten der
Menschheit zeugen von einem ungeheuren Mut und einer
Kraft der geistigen Weitdurchdringung, die in unseren
Zeiten der Zivilisation und Technik beinahe verloren
gingen. Durch den Illusionismus, den Versuch, den Schein
der Natürlichkeit zu erwecken, wurde im Europa der
Griechen und der Renaissance der Begriff einer rein auf
die menschlichen Bedingungen und Gegebenheiten
gegründeten Schönheit entwickelt und damit eine Los-
trennung der Kunst von den Urkräften des Lebens an-
gebahnt, in deren weiterem Fortschreiten eine Umkehrung
vorgenommen wurde: die dingliche und begriffliche Schön-
heit in der Malerei oder der Dichtung wurde zur Abstrak-
tion, zur Wesenlosigkeit, — denn die nun vom ästhetischen
Standpunkt aus vorgenommene Auswahl, das Idealisieren,
Verhübschen oder Verfeinern der Dinge der Erscheinungs-
welt war zum Zweck an sich geworden, sie war keine
Bannung und kein Gleichnis dieser Kräftewelt mehr. Wir
finden heute überall diese Verdünnungen und Abstrak-
tionen; so häufen sich zum Beispiel in der Umgangs-
sprache, wie etwa vor allem in der Sprache des Geschäfts-
mannes, Redewendungen, die zwar die Schnelligkeit der
Verständigung erhöhen, deren Sinn aber begrifflich so
abgekürzt, gewissermaßen stenographiert ist, daß er
keineswegs mehr Gleichniskraft besitzt. Einen ähnlichen
Vorgang auf optischem Gebiet ergibt zum Beispiel die
Momentphotographie — trotz vollster Deutlichkeit des
Gegenständlichen doch eine vollkommene Kraftlosigkeit,
besonders etwa bei springenden Menschen, galoppierenden
Pferden usw. fällt dies auf: also gerade bei besonderen
Kraftäußerungen der Wirklichkeit ergibt die optische
Geschwindschrift nur schwächliche Abstraktionen, ganz
geringe Kraftübermittelungen des tatsächlichen Vorgangs.
 
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