Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hausmann, Raoul; Große Berliner Kunstausstellung <1921, Berlin>
Führer durch die Abteilung der Novembergruppe: Kunstausstellung Berlin 1921 — Berlin: Otto Elsner, 1921

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47093#0007
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Aehnlich ist es nun auch mit der gegenständlichen Malerei
unserer Zeit beschaffen; was sie uns heute an Darstellungs-
möglichkeiten, an Aesthetik oder an Gleichniskraft bietet,
wird von unserem natürlichen, körperlichen Wahrnehmen
durch das Auge und seine Schulung durch die mechanische
Optik weit übertroffen, so daß man sagen kann: das Auge
und das naturalistische Sehen wurden zwar mit durch die
Malerei entwickelt, aber wir sehen heute (im Gegensatz zu
früher) stärker, umfassender und schöpferischer, als wir die
Wirklichkeit malerisch wiedergeben können. Diese Tat-
sache mußte sich den schöpferischen Geistern ganz von
selbst aufdrängen, aus ihren vergeblichen Bemühungen
heraus, die Natur restlos darzustellen und. darüber hinaus
noch ein Gleichnis oder eine Sprache, also eine Expression
des Wesens der Erscheinungswelt zu bilden; und so sehen
wir um die Jahrhundertwende herum sich einen Wandel
in den Begriffen Natur und Schönheit vollziehen, der vor
etwa einem Dutzend Jahren einige der Kühnsten zum Auf-
lesen und zur Aufgabe der gegenständlichen Wiedergabe
führte und an ihre Stelle geometrische oder dynamische
Formen und Beziehungen setzte. Für diese Werke den
Ausdruck ,,abstrakte Kunst“ zu gebrauchen, ist nur dann
angängig, wenn der Ursprung eines solchen Werkes ein
rein formal-ästhetischer ist, — wie wir aus dem .Vorher-
gehenden erfahren haben, ist ein wirkliches neues Vor-
dringen zu den lebengestaltenden Kräften niemals Ab-
straktion, sondern bildhaftes Gleichnis, gewissermaßen das
Bilden von Buchstaben oder Worten einer neuen Sprache
für unser wiedererwachendes kosmisches Bewußtsein,
Diese neue Sprache wird nur langsam und unter großen
Schwierigkeiten geschaffen, denn sie ist nichts Willkür-
liches, sie wächst aus den Nöten, Erfahrungen, Sehnsüchten
und .Erkenntnissen des heutigen Menschen, der gegen die
 
Annotationen