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1873 *). Gewisse Mansardendächer aus Frankreich mit gepreßten
Blechverzierungen und schwächlichen Nachahmungen Victoriani-
scher Gotik, verkommene Nachfahren Ruskins und Pugins hinter-
liefen weitere, bis heut ungetilgte beschämende Spuren.
Was Jenner und Pasteur mit anderen Seuchen oder William
Morris und die Präraffaeliten drüben taten, versuchten bei uns
Morris Hunt und Henry Hobson Richardson.
Richardsons machtvoller Persönlichkeit wäre es auf ein Haar
gelungen, einen wirklichen amerikanischen Stil zu schaffen. Seine
Trinity-Kirche **) war eine bedeutende Leistung. Er bediente sich der
Formen des romanischen Stils, in deren schlichter Größe weife Ent-
♦ Wicklungsmöglichkeiten zu liegen schienen. Aber als der Feind ge-
schlagen war, fehlten Richardson die Truppen zur Verfolgung und
Vernichtung.
In den achtziger Jahren gab es in den Vereinigten Staaten
wenig gelernte Architekten, und deshalb dauerte es auch nicht lange,
und die Nachahmer Richardsons verballhornten den romanischen
Stil, der nun in Aufnahme gekommen war, besonders im mittleren
Westen, — noch schlimmer, als cs die Industrieritier mit den Man-
sarden und den gotischen Bogen besorgt hatten.
Dann trat eins jener außergewöhnlichen Ereignisse ein, die ge-
legentlich über Nacht dem Lauf der Dinge eine andere Wendung
geben. Daniel H. Burnham und sein Stab begabter Mitarbeiter be-
stimmten von seinem mächtigen Mahagonitisch aus, daß der Stil der
Columbia-Ausstellung von 1893 „klassisch“ sein sollte. Sie ver-
setzten dem romanischen Stil und seiner schwer ringenden roman-
tischen Tendenz den Gnadenstoß und leiteten wieder eine Art neuen
Kurses der Kunst bei uns ein. Und so schifften wir uns im Jahre
des Heils 1893 ein auf die architektonische Reise, die uns 30 Jahre
später an das Ufer eines architektonischen Kythere führte.
Man braucht keine Pisgahhöhe zu erklimmen, um die wahre
Bedeutung dieser Bewegung in unserer Architektur zu erkennen.
Wir erlebten stilistisch eine Periode des reinsten Eklektizismus. Die
Antike von Phidias bis Augustus, die Gotik von St. Hugh von Lin-
coln und Abbe Suger, die Renaissance Brunelleschis und Peruzzis,
Lescots und Soufflois, von Vanbrughs und Inigo Jones, von Egas
*) Die Richtigkeit der Übersetzung an dieser Stelle mag der ver-
ehrte Besucher nachprüfen. Auf Englisch heißt es: „ hoop skirts
(Reifröcke), Dundreary whiskers (nach dem Hauptheld eines berühmten Lust-
spiels), Rogers groups (bräunliche lerrakotiafiguren mit süßlichen Gruppen),
haircloth Eastlake furniture, wax flowers, fhe Hudson River school of paint-
ing, P. T. Barnum and fhe panic of 73“.
**) Ebenso auch das Court-House in Pittsburgh.
 
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