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!133372707!; Königliche Akademie der Künste zu Berlin [Contr.]
Die Anfänge der Deutschen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts: Rede zur Feier des allerhöchsten Geburtstages Seiner Majestät des Kaiser und Königs am 27. Januar 1907 in der öffentlichen Sitzung der Königlichen Akademie der Künste — Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.70861#0014
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Zeiten der Gegensätze und Kämpfe geht, übertrieben und
karikiert sein; aber wer die Akten durchblättert, stößt auf
wunderliche Dogmen und Praktiken. Die oft vortrefflichen
Bildnisse jener Periode zeigen, daß die Augen der besseren
Talente denn doch durch alle Nebel hindurchsahen, und
daß des Übels Wurzel in der Erschöpfung der Phantasie, in
dem Mangel an Beruf und Kraft zu wahrhaft schöpferischer
Gestaltung lag. Als in einer jungen Generation dieser
Drang in mannigfaltiger Gestalt erwachte und als man sich
in den überkommenen Rezepten vergeblich nach Hilfe um-
sah, da richtete sich das Künstlerauge entschlossen auf die
Natur, um ihr mit eigener Kraft abzugewinnen, was eine
neue Zeit bedurfte. Am lehrreichsten vielleicht, um diese
Wendung zu verstehen, ist ein Blick in die landschaft-
lichen Studien dieser Zeit, in denen der Bruch mit der
Vergangenheit besonders deutlich hervortritt. Wie seltsam
muten uns heute die Vorschriften und Ratschläge für Land-
schaftsmaler an, die Goethe aus Philipp Hackerts Nachlaß
herausgegeben hat. Und wie hoch stehen sie doch noch
über dem Jammer landschaftlicher Unterweisung, von dem
Ludwig Richter aus seinen frühen Dresdener Jahren zu be-
richten weiß! Da regt sich in der Jugend plötzlich ein
anderer Geist. Mit einem Schlage ist der vorschriftsmäßige
Baumschlag, der übliche Felsblock mit dem üblichen Blätter-
und Blumenwerk, der stumpfe Kontur der Ferne, das Farben-
rezept für Himmel und Erde wie weggefegt. Das frische
Auge ist für alle individuellen Naturformen, für alle Reize
ihrer Erscheinung erschlossen. Wie ein Blinder, der plötz-
lich sehend würde, blicken Künstleraugen in die Herrlich-
keit der Natur: nicht mit der unpersönlichen Kälte der
photographischen Linse, sondern mit der Verwunderung des
Kindes und der warmen Empfänglichkeit einer gemütvollen
Individualität.
 
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