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Meyer, Hans; Königliche Akademie der Künste zu Berlin [Contr.]
Die graphische Kunst: Rede zur Feier des allerhöchsten Geburtstages Seiner Majestät des Kaiser und Königs am 27. Januar 1908 in der öffentlichen Sitzung der Königlichen Akademie der Künste — Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.70860#0018
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— 16 —
unserem Volke, daß es trotz des unverkennbaren materia-
listischen Zuges, der heute durch die Welt geht, geistig in
dem Zustande verharren möge, der dieses geflügelte Wort
veranlaßt hat! —
Aber, wie denn! Dichten und Denken soll ja der
bildende Künstler gar nicht! Er soll, schwelgend in Licht
und Farbe, sich daran genügen lassen, die schillernde
Pracht der Erscheinungen, den Wechsel und das Spiel
des Lichtes auf den Körpern und Dingen der Schöpfung
festzuhalten und wiederzugeben. — So sagen ihm Kunst-
theoretiker, die Kritiker und die Wisser der Kunst und
haben ihm eine Anzahl von Phrasen und Schlagwörtern
geschmiedet, die vorübergehend Kurs haben und als bare
Münze weitergegeben und genommen werden.
Anekdotenmalerei, Geschichtsprotokolle sind Werke
von Künstlern genannt worden, die es wagten, sich in den
Geist der Vergangenheit zu versenken, und diese dem Ver-
ständnis und dem Gefühl der lebenden Nachwelt näher
zu bringen.
Phrasen! nichts als Phrasen! so zerronnen, wie ge-
sponnen. Singe nur jeder weiter, wie ihm der Schnabel
gewachsen ist. Das Singen kommt doch immer von innen
heraus und die Funken der Begeisterung, die aus Sage und
Geschichte oder aus den Werken unserer großen Dichter in
die Herzen der Künstler springen, werden durch das Prisma
ihres Geistes gehen und werden Gestalten und Bilder er-
zeugen, die echte Kunstwerke sind, auch wenn sie zufällig
Anekdoten oder Geschichtsprotokolle darstellen. —
Und nun noch einige Worte an die Empfangenden,
die Genießenden.
Auch der Kunstgenuß will gelernt sein. Nicht jedes
Kunstwerk hat die seltene Eigenschaft, den Beschauer im
Fluge zu ergreifen und zu fesseln.
 
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