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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das Fenster im Baudenkmal — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 12.1994

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Gerlach, Christoph: Woran erkennt man historische Fenster?
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https://doi.org/10.11588/diglit.51143#0011
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Woran erkennt man historische Fenster?

Christoph Gerlach
Was ist ein historisches Fenster?
i
Der weiterhin massenhafte Einbau neuer Fenster in Altbauten macht
die Beantwortung der Frage scheinbar leicht: alle nicht neuen Fenster
sind historische Fenster!
Man würde jedoch dem Problem nicht gerecht, beließe man es
dabei.
Auch ein Fenster in einem Baudenkmal verlangt bei einem verant-
wortungsvollen Umgang zunächst einen Prozeß des Erkennens, des
Einordnens und des Bewertens. Vorausgesetzt wird dabei eine grund-
sätzliche Kenntnis über die Entwicklungsgeschichte des Fensters, die
es erlaubt, ein vorhandenes Fenster absolut oder relativ in die individu-
elle Geschichte des Baudenkmales einzuordnen. Erst durch diesen
Vorgang kann qualifiziert im Rahmen des Umgangs mit dem Denkmal
gehandelt werden.
Obwohl Fenster als Grundelement eines Hauses in fast jedem Bau-
denkmal vorhanden sind, ist die bauhistorische Erforschung dieses
Bauteils fast immer vernachlässigt worden - und das bei einem rapide
verschwindenden Bestand.
Damit geht eine allgemeine Vorstellung von dem „historischen"
oder dem „denkmalgerechten" Fenster einher, die sich vielfach auf die
Eigenschaften „Holzsprossen" und „weißer Anstrich" reduziert.
Gerade aber diese beiden Eigenschaften gehören eher zu den sel-
tenen bei älteren Fenstern.
Ziel der folgenden Betrachtung ist es, zumindest einen schemati-
schen Überblick über typische Formen und Merkmale von normalen
Fenstern der verschiedenen Epochen zu versuchen, um einen differen-
zierteren Umgang mit ihnen zu erleichtern.
Der Begriff „Fenster" wird hier im allgemeinverstandenen Sinne
statt des korrekten Begriffes „Fensterverschluß" verwendet.
Vorbemerkungen
„Vorzüglich auf dem Lande begehen die Tischler oder Schreiner, so wie
die Schlosser in Hinsicht der Fenster und Türen wesentliche Fehler, und
nicht selten wird dadurch der Baumeister in Verlegenheit gesetzt...
Von ungeschickten Schreinern werden die größten Fehler bei Fen-
sterstöcken und Fensterrahmen begangen. Die Fenster sollen die
innern Räume, als Zimmer und Kammern gegen Kälte sichern und kei-
nen Schlagregen durchlassen; allein wie selten wird dieser Zweck
erreicht? Diese Fehler liegen nicht nur in einer nachlässigen Bearbei-
tung, oder im Holze,... sondern vielmehr in der Construction der
Stöcke und Rahmen selbst.... Schlecht construirte Fenster, welche
Wind und Regen durchlassen, sind natürlich eher dem Verderben und
der Fäulnis ausgesetzt..."
So schreibt mit bewußt kritischem Ansatz August Voit 1829 in sei-
nem Buch über Fenster und Türen.
Fenster sind Bauteile, die häufig verändert oder ausgewechselt
wurden. Zum einen sind sie ständig neuen Wohnbedürfnissen ange-
paßt worden, zum anderen sind sie durch ihre exponierte Lage und
ihre oft feingliedrige Konstruktionen, die die hohen Anforderungen an
sie mit sich brachten, vom Vergang durch Verwitterung besonders
betroffen. Brand- und Kriegskatastrophen taten ihr übriges.
Es ist daher davon auszugehen, daß die meisten Fenster in Baudenk-
malen erst im Laufe der Zeit eingebaut wurden. Fenster oder Reste von
Fenstern aus älterer Zeit sind sehr selten und werden weiterhin vom
Anpassungsdruck durch Wohnbedürfnisse, Erneuerungsbedürfnisse aber
auch Gestaltungsbedürfnisse in ihrem Gesamtbestand erheblich dezimiert.
Dennoch liegen bisher Dokumentationen und Untersuchungen
zum Thema Fenster nicht in ausreichendem Umfang vor. Eine Ursache
dafür mag darin liegen, daß sich die Fenster sehr schwer genau datie-
ren lassen. Sie tragen keine Jahreszahl, sind dendrochronologisch in
der Regel nicht untersuchbar und das bauliche Umfeld gibt oft auch
nur unzureichende Datierungshinweise.


1 Einbeck, Tiedexer Straße. Typische Fenster einer durchgreifenden
Sanierung, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten in älteren Bauwerken
überwiegend eingebaut worden sind. Weißer Anstrich und Holzsprossen
entsprechen den Vorstellungen von „dem historischen Fenster".

Vor allem aber ist die überwiegende Zahl älterer Fenster durch
nachträgliche Veränderungen, Reparaturen, den Einbau neuer Flügel
oder der Wiederverwendung älterer Bauteile (vor allem der Beschläge)
in ihrer stilistischen Zuordnungsmöglichkeit gestört.
Auch diese Betrachtung kann sich nicht in jedem Fall auf besondere
Untersuchungen stützen, sondern basiert auf Analogien zu anderen
Untersuchungen. Somit sind Fehler in der Zuordnung nicht auszuschlie-
ßen. Vielleicht wird aber dadurch die Notwendigkeit umfassenderer
Untersuchungen und Dokumentationen noch einmal unterstrichen.
Das Fenster in den verschiedenen Epochen
Wenn sich auch das Fenster selbst im Laufe der Zeit stark veränderte,
hat es als Teil eines Gebäudes im Grunde doch immer eine gleichblei-
bende Funktion behalten. Die Hauptaufgabe eines Hauses ist es,
einen oder mehrere schützende Räume zu bilden. Ein Raum ist im all-
gemeinen durch Fußboden, Decke und Wände allseitig geschlossen
und benötigt Öffnungen, um darin leben zu können, in der Hauptsa-
che Türöffnungen und eben - Fenster.
Definitionen aus Fachbüchern der letzten 300 Jahre können einen
Einblick in die jeweilige Auffassung von „Fenster" geben:
1696 Goldmann:
„Durch die Eröffnung in gemein verstehen wir alle Löcher/die
durch die Mauer gehen / sonderlich aber diejenige / da man Licht
dadurch einlässet/ oder dadurch gehet.... Dannenhero seyn die Fen-
ster... Türen ..."
1788 Krünitz:
„Fenster,... 1. Diejenige Oeffnung in einer Mauer oder Wand, durch
welche das Licht in ein Zimmer fällt.... 2. Diejenige Materie, womit
diese Oeffnung ausgefüllet wird, und welche Licht durchläßt, nebst
ihren Rahmen..."
1843 Stöckel:
„Diejenigen Oeffnungen, welche in einem Gebäude in der Absicht
angebracht werden, um dadurch Licht und frische Luft in dem Zimmer
zu erhalten, haben die Benennung Fensterlöcher oder Fensterbuch-
ten."
1862 Grimm:
„... fenster bedeuten öfnung, lücke, luke, das Loch der Wand, durch
welches Tag einbricht, wodurch aus dem Haus ins freie geschaut wird
Als Fenster werden also übereinstimmend die Öffnungen der
Außenwand bezeichnet, die Licht durch die Wand in den Raum lassen.
Mit fortschreitender Zeit erweiterte sich die Aufgabe des Fensters,
zumindest diesen Quellen nach, auf die Belüftung und das Hindurch-
sehen.

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