12
Maßnahmenvorbereitung
Abb. 3
Königslutter, Stiftskirche, Blick von
der Vierung in Chor und nördliches
Querhaus, Zustand vor 1956.
pheten des Alten Testaments hervor, die
auf Spruchbändern Weissagungen halten,
mit denen sie die Gründung der neuen
Kirche ankündigen. Stifter des neuen
Bundes ist durch seinen Tod Christus, der
in der Mitte von 12 Widdern (= 12 Apo-
steln) als Opferlamm mit der Siegesfah-
ne auf dem das Chorjoch begrenzenden
östlichen Gurtbogen erscheint.
Endpunkt und Ziel des Ausstattungskon-
zeptes Essenweins ist die Hauptapsis mit
der segnend die Hand erhebenden Mai-
estas Domini in der Mandorla, umgeben
von den vier Tieren, die für die Evange-
listen stehen, und den beiden Kirchen-
patronen Petrus und Paulus. Attributiv
unterstützen auf dem Chor und Apsis
trennenden Gurtbogen sieben Tauben
als Sinnbilder der „7 Gaben des heiligen
Geistes" (Jes 11, 1f.) sowie unter dem
Hauptgesims drei Engel mit Szepter als
Symbole der Allmacht und Majestät
Gottes die Verkörperung des Göttlichen
in ihrer Bedeutungsschwere. Vier wei-
tere Patrone - von ihnen nur Johannes
der Täufer von Essenwein anhand der
freigelegten Befunde eindeutig identi-
fiziert - erscheinen in den Feldern zwi-
schen den Apsisfenstern.
Gesamtkunstwerk
Die Raumgestaltung des 19. Jahrhun-
derts in der Stiftskirche Königslutter ist
neben andere bedeutende Leistungen
zu stellen, die Essenwein anspruchsvoll
in Groß St. Martin19, St. Maria im Kapi-
tol20 und St. Gereon in Köln21, in der
Frauenkirche in Nürnberg22 und im
Braunschweiger Dom23 realisiert hat.
Voraussetzung für diese monumentalen
Raumschöpfungen war die Entdeckung
der großen romanischen und gotischen
Ausmalungszyklen seit den dreißiger
Jahren im Rheinland, 1845 auch im
Braunschweiger Dom. Man erkannte,
daß in mittelalterlichen Bauwerken Ar-
chitektur und farbige Gestaltung eine
künstlerische Einheit gebildet hatten.
Mittelalterliche Kirchen wurden nun
nicht nur erhalten, sondern auch in ei-
nen - im Zeitverständnis - mittelalter-
lichen Zustand zurückversetzt, zu dem
eben auch die Ausmalung gehörte.
Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrie-
ges führten zu erheblichen Verlusten an
solchen historistisch gestalteten Räu-
men. Die heftigen Diskussionen anläß-
lich der Beseitigung der nazarenischen
Ausmalung des Speyerer Domes, die
noch 1958 den deutschen Kunsthisto-
rikertag in Trier bestimmt haben, bele-
gen aber auch die langanhaltenden
Probleme, sich mit dem künstlerischen
Schaffen, aber auch den denkmalpfle-
gerischen Bemühungen jener Epoche
auseinanderzusetzen.24 „Das Odium des
Plagiats sowie der Vorwurf rein hand-
werklicher Minderwertigkeit sind so
sehr Etikett des Historismus geworden,
daß seinen Schöpfungen häufig genug
lediglich ein kulturgeschichtlicher Wert
zugemessen" wurde.25
Die Beschwörung der Vergangenheit in
der Architektur des Historismus ist aber
nur die eine Seite. Die andere ist eine
eigenständige Bau- und vor allem Raum-
auffassung, deren Ziel das in sich schlüs-
sige, alle Formen integrierende Gesamt-
kunstwerk darstellt.26 Der Innenraum
der Stiftskirche in Königslutter ist in die-
sem Sinne durch Essenwein reich und
qualitätvoll ausgestaltet worden. Beacht-
lich ist seine umfassende Entwurfstätig-
keit, die kein Detail ausließ und aus
Bauwerk, Raumfolgen, plastischer und
farbiger Dekoration eine Gesamtinsze-
nierung formte, in der nur durch das Zu-
sammenspiel aller Einzelelenemte die
beabsichtigte Wirkung eintritt.
Zusammenfassung
Im 19. Jahrhundert verband sich das
Bemühen um Wiederbelebung der „ehr-
würdigen vaterländischen" Denkmale
mit dem Wunsch nach sinngebendem
Bildschmuck. Dabei suchte man An-
schluß an das „christliche Mittelalter".
Für die Stiftskirche Königslutter entwarf
August von Essenwein, Direktor des
Germanischen Nationalmuseums Nürn-
berg, ein entsprechendes Ausmalungs-
programm, das von mittelalterlichen
Befunden ausging. Er schuf ein Gesamt-
kunstwerk, das den Raum zu einer Pro-
zessionsstraße gestaltet. Ihr Ziel ist die
Maiestas Domini in der Apsis. Die Aus-
malung führte der braunschweigische
Hofdekorationsmaler Adolf Quensen
1887-1894 aus.
Maßnahmenvorbereitung
Abb. 3
Königslutter, Stiftskirche, Blick von
der Vierung in Chor und nördliches
Querhaus, Zustand vor 1956.
pheten des Alten Testaments hervor, die
auf Spruchbändern Weissagungen halten,
mit denen sie die Gründung der neuen
Kirche ankündigen. Stifter des neuen
Bundes ist durch seinen Tod Christus, der
in der Mitte von 12 Widdern (= 12 Apo-
steln) als Opferlamm mit der Siegesfah-
ne auf dem das Chorjoch begrenzenden
östlichen Gurtbogen erscheint.
Endpunkt und Ziel des Ausstattungskon-
zeptes Essenweins ist die Hauptapsis mit
der segnend die Hand erhebenden Mai-
estas Domini in der Mandorla, umgeben
von den vier Tieren, die für die Evange-
listen stehen, und den beiden Kirchen-
patronen Petrus und Paulus. Attributiv
unterstützen auf dem Chor und Apsis
trennenden Gurtbogen sieben Tauben
als Sinnbilder der „7 Gaben des heiligen
Geistes" (Jes 11, 1f.) sowie unter dem
Hauptgesims drei Engel mit Szepter als
Symbole der Allmacht und Majestät
Gottes die Verkörperung des Göttlichen
in ihrer Bedeutungsschwere. Vier wei-
tere Patrone - von ihnen nur Johannes
der Täufer von Essenwein anhand der
freigelegten Befunde eindeutig identi-
fiziert - erscheinen in den Feldern zwi-
schen den Apsisfenstern.
Gesamtkunstwerk
Die Raumgestaltung des 19. Jahrhun-
derts in der Stiftskirche Königslutter ist
neben andere bedeutende Leistungen
zu stellen, die Essenwein anspruchsvoll
in Groß St. Martin19, St. Maria im Kapi-
tol20 und St. Gereon in Köln21, in der
Frauenkirche in Nürnberg22 und im
Braunschweiger Dom23 realisiert hat.
Voraussetzung für diese monumentalen
Raumschöpfungen war die Entdeckung
der großen romanischen und gotischen
Ausmalungszyklen seit den dreißiger
Jahren im Rheinland, 1845 auch im
Braunschweiger Dom. Man erkannte,
daß in mittelalterlichen Bauwerken Ar-
chitektur und farbige Gestaltung eine
künstlerische Einheit gebildet hatten.
Mittelalterliche Kirchen wurden nun
nicht nur erhalten, sondern auch in ei-
nen - im Zeitverständnis - mittelalter-
lichen Zustand zurückversetzt, zu dem
eben auch die Ausmalung gehörte.
Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrie-
ges führten zu erheblichen Verlusten an
solchen historistisch gestalteten Räu-
men. Die heftigen Diskussionen anläß-
lich der Beseitigung der nazarenischen
Ausmalung des Speyerer Domes, die
noch 1958 den deutschen Kunsthisto-
rikertag in Trier bestimmt haben, bele-
gen aber auch die langanhaltenden
Probleme, sich mit dem künstlerischen
Schaffen, aber auch den denkmalpfle-
gerischen Bemühungen jener Epoche
auseinanderzusetzen.24 „Das Odium des
Plagiats sowie der Vorwurf rein hand-
werklicher Minderwertigkeit sind so
sehr Etikett des Historismus geworden,
daß seinen Schöpfungen häufig genug
lediglich ein kulturgeschichtlicher Wert
zugemessen" wurde.25
Die Beschwörung der Vergangenheit in
der Architektur des Historismus ist aber
nur die eine Seite. Die andere ist eine
eigenständige Bau- und vor allem Raum-
auffassung, deren Ziel das in sich schlüs-
sige, alle Formen integrierende Gesamt-
kunstwerk darstellt.26 Der Innenraum
der Stiftskirche in Königslutter ist in die-
sem Sinne durch Essenwein reich und
qualitätvoll ausgestaltet worden. Beacht-
lich ist seine umfassende Entwurfstätig-
keit, die kein Detail ausließ und aus
Bauwerk, Raumfolgen, plastischer und
farbiger Dekoration eine Gesamtinsze-
nierung formte, in der nur durch das Zu-
sammenspiel aller Einzelelenemte die
beabsichtigte Wirkung eintritt.
Zusammenfassung
Im 19. Jahrhundert verband sich das
Bemühen um Wiederbelebung der „ehr-
würdigen vaterländischen" Denkmale
mit dem Wunsch nach sinngebendem
Bildschmuck. Dabei suchte man An-
schluß an das „christliche Mittelalter".
Für die Stiftskirche Königslutter entwarf
August von Essenwein, Direktor des
Germanischen Nationalmuseums Nürn-
berg, ein entsprechendes Ausmalungs-
programm, das von mittelalterlichen
Befunden ausging. Er schuf ein Gesamt-
kunstwerk, das den Raum zu einer Pro-
zessionsstraße gestaltet. Ihr Ziel ist die
Maiestas Domini in der Apsis. Die Aus-
malung führte der braunschweigische
Hofdekorationsmaler Adolf Quensen
1887-1894 aus.