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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Hildesheimer Zentralfriedhof — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 17.1998

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Der gestaltete Friedhof als Bauaufgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.51148#0019
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Der gestaltete Friedhof als Bauaufgabe

Die Anfänge des durchgestalteten
Friedhofskonzeptes
Die Geschichte des gestalteten Friedhofs reicht bis in die Mitte
des 18Jh. zurück, als die Enge überfüllter Friedhöfe erstmals
nicht nur als belastend und ekelerregend, sondern auch die ver-
wahrlosten Anlagen der Massengräber als menschenunwürdig
empfunden wurden62. Nachdem dieser Mißstand wahrgenom-
men und deutlich ausgesprochen war, suchte man gezielt nach
Gestaltungsmöglichkeiten, um diesem Unheil Abhilfe zu ver-
schaffen und dem Bestattungsplatz zunächst ein angenehmeres,
geordnetes und schließlich ein heiteres Gepräge zu verleihen.
Nach ersten Ansätzen akzentuierender Alleen und linearer
Außenrahmungen entstanden schließlich jene durch Quadrat-
struktur und Wegekreuz gekennzeichneten Anlagen (Abb. 12 u.
13)63, die in Anpassung an die demographischen Verhältnisse be-
liebig vervielfacht werden konnten64. Der beengende Eindruck,
den diese gepflegte geometrische Form allerdings in einigen zeit-
genössischen Betrachtern hervorgerufen hat, ist detailliert dem
sechsten Kapitel des Manifestes Marc Antoine Laugiers zu ent-
nehmen, dessen Kritik an der „...faden Symmetrie..."65 auch pri-
vater Schloß- und Landgärten jedoch zunächst weitgehend un-
verstanden blieb; und dennoch läßt es bereits erahnen, warum
der so andersartig gestaltete Landschaftsgarten und landschaftli-
chen Friedhof bald in Frankreich und später auch in Deutschland
zahlreiche Fürsprecher auf seine Seite zog: „In Gärten soll man
vor allem heitere und einfache Schönheiten anstreben. Man muß
das verwenden, was die Natur an Reizendem hat, und das, was
sie uns bietet, durch anmutige und einfühlsame Anordnung ver-
schönern, ohne ihr jemals das Einfache und Ländliche zu neh-
men, das ihren ganzen zarten Charme ausmacht. Was uns an der
Natur gefällt, ist [...] das geglückte Zufällige, [...], und jene schö-
ne Schlichtheit, die nie etwas Gesuchtes und Affektiertes hat [...].
[Nur] Wenn Reichtum ah Bronze und Marmor, wenn eine unter
einem übertriebenen System von Symmetrie und Prachtentfal-
tung erstickte und begrabene Natur, [...] die Schönheit eines Gar-
tens ausmachen, verdient Versailles den Vorzug vor den anderen
Auswahl, Ordnung und Harmonie müssen tatsächlich vor-
handen sein, aber es darf nichts geben, was zu eingeengt und
steif ist [...]. Niemals wird man angenehme Gärten erhalten,
wenn man nicht einen von Natur aus schönen Platz voller Heiter-
keit wählt, mit Blick auf eine von ländlichem Zauber erfüllte
Landschaft, deren Betrachtung uns in eine sanfte, träumerische
Stimmung versetzt, aus der uns herrlicher Seelenfrieden erwächst
[■■•]. Ich behaupte nicht, man müsse dicht stehende Büsche und
Bäume völlig ausschließen; in der Natur finden wir sie in Wäldern
immer wieder. Ich stelle nur fest, daß massive Gruppen sparsam
verwendet werden müssen. Da sie von Natur aus etwas Trauriges
und Wildes haben, muß man sie wie auf einem Gemälde vertei-
len...".
Gegenüber diesen fast überschwenglichen Beschreibungen
der Vorzüge der Natürlich- und Weitläufigkeit erfuhr der land-
schaftliche Friedhof in Deutschland jedoch zunächst eine überaus
krasse Kritik, die ihm neben jeder ökonomischen Ausrichtung er-
staunlicherweise auch Schönheit und Stringenz absprach66. Diese
Haltung ist auf eine modifizierte Auffassung des Naturideals
zurückzuführen, die trotz aufklärerischen Gedankengutes im
Deutschland des 18Jh. zu vollkommen divergenten Umsetzun-
gen als in Frankreich oder auch England führte: Anstelle eines
freien landschaftlichen Stils wurde hier der nach außen abge-
schlossene, autarke und somit wiederum geometrische und sa-
kralisierte Raum propagiert, der innerhalb seines vom Wegeraster
reglementierten Grünsystems in variierter Form ebenfalls Bestat-
tungen in „freier Natur" erlaubte67. Das Ideal natürlicher Land-
schaft wird somit im Bild eines durch eine angemessene Bepflan-

zung aufgelockerten systematischen „...Ruhegartens..." konkre-
tisiert, dessen wohl sortierende Regelhaftigkeit angesichts der
traditionellen verrotteten Massenfriedhöfe bereits als schön und
heiter verstanden wurde. So bemerkt C. B. Hohlfeld68 (1800) und
dies nicht ohne Begeisterung kundzutun, „...daß die düsteren
Vorstellungen und Bilder vom Tode immer mehr verschwinden,
und heitere an ihre Stelle treten"69. Damit wurde jedoch immer
noch kein Wandel innerhalb der Gesamtkonzeption, sondern nur
der Wechsel zu romantischen Bepflanzungen (Ranken, Weiden)
honoriert, die im Zuge gefühlsbetonter Anschauungen die hero-
ischen Gewächse (säulenfömiger Wuchs) verdrängten. Es bleibt


12 Idealtypischer Ruhegarten: Der Gottesacker der Brüderngemeinde zu
Herrnhut, um 1747 (aus: Rietschel, 1984).

13 Der Dessauer Neue Begräbnisplatz in einem Stich von 1787
(aus: Rietschel, 1984).


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