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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Hildesheimer Zentralfriedhof — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 17.1998

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Todesrezeption und Totengedenken in Grabsentenzen des späten 19. und beginnenden 20. Jh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.51148#0027
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Vergangenheitsbewältigung im Totengedenken
der Nachkriegszeit
Insgesamt bleiben Grabinschriften der dreißiger und vierziger
Jahre ausgesprochen selten. Unter den inventarisierten Grabma-
len war nur ein einziger Schriftzug zu erfassen, der allerdings den
Anspruch der späten zwanziger Jahre zum Inhalt erhebt; und
dennoch spürt man im Begriff des „Opfers" wiederum die typi-
sche Sinnhaftigkeit des „Sich-für-die-Gemeinschaft-Aufopferns"
heraus, wie sie bereits das vorherige Jahrzehnt dominierte.
„Ein Frühlingsopfer
in ihrem jungen
so hoffnungsreichen Leben"
Bornemann III 56/57 (1936)
Von den grausamen Verlusten des Zweiten Weltkrieges zeugen
vor allem die endlos langen Reihenfriedhöfe der Kriegsgefalle-
nen, der Aussiedler und Bombenopfer, wobei die Breite der Ach-
sen neben der Monotonie der Felder den Ausdruck der Trauer
optisch intensiviert (Abb. 10). Obwohl sich der Landeskonservator
des Landes Niedersachsen 1949 noch sehr zurückhaltend und re-
glementierend zur Aufstellung mahnender Ehrengrabmale äußer-
te99, mußte sein Wunsch innerhalb der breiten, emotional zu
stark angegriffenen Öffentlichkeit weitgehend ungehört verhal-
len. So wurden auch auf dem Hildesheimer Nordfriedhof in den
beginnenden fünfziger Jahren beide Gefallenenfriedhöfe neu
strukturiert und im jüngeren Teil ein imposantes Holzkreuz auf
einem metall-belegten Sockelstein aufgestellt, das in Formen-
strenge, Schlichtheit und Ausdruck den aufgestellten fünf Forde-
rungen des Landeskirchenamtes entsprach100. Möglicherweise
wurde bereits im Ersten Weltkrieg die Lage des damaligen Gefal-
lenenfriedhofes durchaus bewußt aus den umliegenden Berei-
chen gewählt, da er einen markanten Geländeabfall miteinbe-
zieht, der an keiner anderen Stelle so deutlich nachzuvollziehen

ist. Durch die Achsenverlängerung wird dieser Effekt insofern
dramatisiert, als man von den Schmalseiten aus immer nur einen
Teil, niemals aber die gesamte Länge des Friedhofes überblicken
kann. Den höchsten Grad markierte ursprünglich die Verengung
der Schneise zur Allee und heute das überdimensionierte Kreuz
der fünfziger Jahre, das - obwohl es wie am Horizont erscheint -
bei näherer Betrachtung annähernd das Zentrum eines immen-
sen Gräberfeldes markiert. Der extremen Sterberate auch inner-
halb der städtischen Bevölkerung entspricht neben der Anlage
geschlossener Grabfelder ebenfalls die enge Binnenbelegung
durch markante Wegekreuzungen vorstrukturierter Karrees, wo-
bei das Kreuzungssystem eine dichte Reihenbelegung bei gleich-
zeitiger Sichtwirkung der Achsen gewährleistete:
„Trauernd gedenkt die Stadt der erschlagenen Söhne und
Töchter, wehrlose Opfer der Willkür, ruhen sie hier in der Erde
der Heimat - Zum Andenken an die Opfer der Luftangriffe auf
die Stadt Hildesheim im Weltkrieg 1939-1945".
Insgesamt ist somit eine deutliche Parallelität variierender In-
schrifteninhalte sowie sich einander ablösender Friedhofsgestal-
tungen zu verifizieren, wobei die Palette der Todesbewältigung
von zwei differierenden Formen der Kontemplation, der Beto-
nung eigenen Leides und Sich-Bedauerns bis hin zur behördlich
angeordneten Verdrängung und Indienstnahme des Gefallenent-
odes reicht. Sind den unterschiedlichen Konzeptionen offensicht-
lich historische Ereignisse oder aber Einschnitte gegenüberzustel-
len, wird besonders eindeutig, daß die verschiedenen Ausprä-
gungen historischer Sepulkralarchitektur durch ein Spannungs-
feld von (politischen, mentalitäts-, sozialgeschichtlichen etc.) Ak-
tionen und Reaktionen determiniert worden und insofern unmit-
telbarer Ausdruck von Zeitgeschichte sind. Dabei blieben die ar-
chitektonischen Ausformungen innerhalb dieser Gegenüberstel-
lungen bislang völlig unberücksichtigt; vermutlich wird jedoch
auch die Wahl einer bestimmten Grabform oder eines Grabmals
ebenso wie das Zitat eines Dekors und Symbols mentalitätsge-
schichtlich von einiger Aussage sein.



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