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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Hildesheimer Zentralfriedhof — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 17.1998

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Grabformen und Grabmaltypen in Hildesheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.51148#0028
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Grabformen und Grabmaltypen in Hildesheim

Entwicklung und Bedeutung des Grabbezirks

Seit Jahrhunderten werden zwei Arten der Markierung ange-
wandt, um ein Grab angemessen auszugestalten und für die
Nachwelt obertägig sichtbar werden zu lassen: Zum einen die
Aufstellung eines wie immer gearteten Grabmonumentes oder
aber die großflächige Einfriedung der Grabstelle, die wiederum
ein Grabmonument miteinbeziehen kann. Während das Grabmo-
nument als Grab(denk-)mal bereits begrifflich konkret zu fassen
ist, beinhaltet die Bezeichnung des Grabbezirks, der die Gesamt-
heit einer Grabstätte benennt, verschiedene Gestaltungsvariatio-
nen: So wurden neben architektonischen Einfassungen häufiger
auch weitläufige Beet- und Grünkonzepte, die Aufstellung von
Mobiliar (Sitzbänke, Tische, Blumentröge, Plastiken) oder das Ne-
beneinander von liegender Gruftplatte und zugehörigem Grab-
monument eingesetzt, um die gesamte Bestattungsfläche zu
kennzeichnen und als autarken Grabbezirk auszugestalten.
Aus rein pragmatischem Grund wurde auch auf dem Hildes-
heimer Zentralfriedhof die Mehrzahl aller Grablegen als eine Art
Grabbezirk gestaltet, da ein schmaler umlaufender Plattensteg
Grundbestandteil jeder Belegungskonzeption sein mußte, um
Überschneidungen zu vermeiden. Allerdings ist von diesen in der
Regel völlig schlicht belassenen Einfassungen kaum eine als ein-
deutig historisch einzustufen’01, so daß diese wenig differenzierte
Art der Grablegenrahmung an dieser Stelle unberücksichtigt blei-
ben kann. Auch insgesamt sind gegenüber der Masse und Viel-
falt erhaltener Grabmonumente nur noch knapp dreißig Exem-
plare zu benennen, die aufgrund ihrer architektonischen Rah-


21 Grabstätte Böttcher (Abt. V): bronzenes Ziergitter mit Akanthus- und
Sonnenstrahlenmotiven.


22 Mit seitlichen Sitzbänken, Grabwand und Ehrenpforte ausgestattes
Grabmal Lüdemann (Abt. II. r. 2).

mung - seltener des Bepflanzungskonzepts - eindeutig als histo-
rische Grabbezirke anzusprechen sind.
Den größten Anteil repräsentieren heute die durch Ziergitter
und Balustersäulen gestalteten Bezirke (10 Exemplare), die in Hil-
desheim - von zwei Ausnahmen abgesehen (1890, 1915) - kon-
zentriert zwischen 1897 und 1907 datieren. Neben den schlich-
ten Varianten der gerade geführten und tordierten Vierkantstäbe
und solchen geometrischer und mäandrierender Ornamentik
wurden auch ausgesprochen hochwertige Umzäunungen ange-
legt (Abb. 21. u. 23), die dem Besuchenden bis ins Detail von
Herkunft und Stand der Familie berichteten102. Sie werden von
verschiedenen Varianten massiver, dreiseitiger Einfriedungen
(11 Exempl., streuend; 1904-1917 sowie zwanziger Jahre) er-
gänzt, die sowohl als eine Art Balustrade oder aber als halbhohe
Mauer gestaltet sein können und fast immer ein bis zwei Sitzbän-
ke (Abb. 24 u. 25) baulich miteinbeziehen (sog. Exedren)103; sel-
tener ist auch der frontale oder seitliche Zugang als regelrechte
(Ehrenpforte) mit vollplastischen Figuren gehalten (Abb. 22),
während isolierte Pforten104 und Bänke105 als Grabbezirkskenn-
zeichnungen vereinzelt bleiben.
Obwohl demnach durchaus verschiedene Typen von Grabbe-
zirken zu differenzieren sind, ist deren zeitliche Konzentration
kaum konsequent zu fassen; in der Regel streuen sie locker über
mehrjährige Zeiträume, die im Extremfall zwanzig Jahre und län-
ger betragen können. Innerhalb der Belegungsabfolge des histo-
rischen Zentralfriedhofes scheinen die Bezirke in ihrer Gesamtheit
jedoch einen eher fortgeschrittenen Zeitraum zu umschreiben,
der von der Jahrhundertwende mit gewissen Ballungen zwischen
1902 und 1917 bis in die 1930er Jahre reicht, während Grabbe-
zirke vor 1900 eher die Ausnahme stellen.
Nach Auswertung der inventarisierten Inschriften (s. oben)
wird diese Dominanz aufwendig gestalteter Bezirke mit einem im
beginnenden 20.Jh. einsetzenden Mentalitätswandel gleichzuset-
zen sein, der als eine Art der Verdrängung und neuer Erfahrung
des persönlichen Verlustes umschrieben werden kann und mit
der allmählichen Abschwächung der traditionellen Glaubensbin-
dung parallel verläuft. Dementgegen scheinen sakralisierende
Übersteigerungen des Grablegeplatzes im deutlich vom gefestig-
ten Glauben getragenen ausgehenden 19.Jh. kaum erforderlich
gewesen zu sein, da man dem Tod zwar mit Trauer, aber den-
noch relativ gelassen entgegensah und ihn darüber hinaus als
Teil des Alltags akzeptierte106; dementsprechend dominierten zu
dieser Zeit repräsentative Grab(denk)male, während Grabbezirke
auffallend selten bleiben: „Neben dem Gemeinschaftshaus ist
der Friedhof [und nicht das Grab] die Ausdrucksform der Vergan-
genheit", resümiert Ph. Aries'07 P. Laffittes Appell zur Institutio-
nalisierung der Friedhöfe (1874) und läßt damit offensichtlich
werden, warum zu dieser Zeit weniger der Grabbezirk als die Ge-
staltung des Friedhofsareals eine besondere Bedeutung und Auf-
merksamkeit erfuhr108.
Überbetonungen erlangen erst im Zuge des erwachenden
Selbstmitleides und unüberwindbarer Hilflosigkeit eine neue Di-
mension, vor allem wenn die Personifikation des Grabes zur Ver-
innerlichung des Toten zum Grundbestandteil der eigenen Trauer
wird, die keine äußeren Einflüsse erduldet. So erstarken die mit
persönlichen Empfindungen getragenen Inschriften erst von der
Jahrhundertwende und - nach einer Zwangspause im Zuge des
Ersten Weltkrieges109 - erneut in den zwanziger Jahren, als man
sich die tragischen Kriegsverluste allmählich vergegenwärtigte
und seinen Gefühlen erstmals wieder freieren Lauf lassen konnte.
Ein in seinen Grundzügen vergleichbarer Trend ist bereits für
das frühe 19Jh. zu registrieren, als um 1830 die Epoche der
„...schönen Tode..."110 begann, von der uns zahlreiche zeitgenös-
sische Quellen berichten111. Sie sprechen noch deutlicher als es
die Grabinschriften des Nordfriedhofes vermögen von neuen

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