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Volkmar Keil
Die Klostergebäude nach der Säkularisation
Im Zuge der Säkularisation mussten die Mönche im
Jahre 1803 ihr Kloster verlassen. Damit ging eine fast
800-jährige Geschichte des Michaelisklosters zu Ende,
die geprägt war vom Leben nach der Regel des hl. Bene-
dikt. Die Geschichte, die mit dem Jahr 1803 beginnt, ist
von häufigen Veränderungen und zum Teil auch von Tra-
gik geprägt.
Eine wirklich klare Verwendung gab es für die Gebäude
zunächst nicht; sie teilten wohl das Schicksal der Michae-
liskirche, als Lagerhalle zu dienen. Zeitweilig war viel-
leicht auch ein Lazarett hier untergebracht.' In dieser Zeit
setzte ein schneller baulicher Verfall ein.
1826 entschloss man sich, die Gebäude für eine neu zu
errichtende Heil- und Pflegeanstalt herzurichten. Dabei
wurden die Instandsetzungskosten wegen des ruinösen
Zustands höher, als man es sich zunächst gedacht hatte.
Die Heil- und Pflegeanstalt sollte das Tollhaus Celle
ersetzen und den gewandelten Vorstellungen der Pflege
und Behandlung geistig kranker Menschen gerecht wer-
den. Sie wird als eine moderne Einrichtung im Sinne der
damaligen Zeit beschrieben. Dabei wurde das Magdale-
nenkloster mit einbezogen. Dort wurde die Dauerpflege
untergebracht, im Michaeliskloster die Akutpflege.2
Für die Klostergebäude hatte dies vor allem einige Abriss-
maßnahmen zur Folge. Betroffen davon waren der Ost-
flügel und Teile des Nordflügels des Kreuzgangs, das
Krankenhaus und die - möglicherweise seit der Reforma-
tion als Zeughaus dienende — Lambertikirche.3
Außerdem wurde die Nordwand der Michaeliskirche he-
rausgebrochen, so dass die Kirche - die jetzt als Sport-
und Spielhalle für die Kranken diente - vom ehemaligen
Kreuzgarten her frei begehbar und offen war. Die Fenster
des südlichen Seitenschiffes wurden zugemauert.4
Nachdem man 1848 die Michaeliskirche der Gemeinde
zurückgegeben hatte, wurde sie durch C. W. Hase
1855—1857 umfassend renoviert.’’ Dieser rekonstruierte
unter anderem die Nordwand. Auch der Westflügel des
Kreuzgangs muss sich damals in schlechtem Zustand
befunden haben. Jedenfalls hat C. W. Hase nach der
Renovierung der Michaeliskirche auch dort weitreichen-
de Restaurierungsarbeiten durchgeführt.
Die 1709 geweihte so genannte „Kleine Michaeliskirche“
fand nun als Anstaltskirche Verwendung. Hier nahm
man kurz vor dem Zweiten Weltkrieg noch eine wichtige
Veränderung vor: Man verkürzte den Laienteil um ein
Joch und baute an dieser Stelle ein Treppenhaus ein.
Damit wurde die Verbindung der Kirche zur heutigen
Sakristei der Krypta, der südlichen Verlängerung der
„Kleinen Michaeliskirche“6, und zur Bibliothek (heute
Kollegsaal) aufgelöst.
1940 hatte die Heil- und Pflegeanstalt eine durchschnitt-
liche Belegung von 564 weiblichen und 568 männlichen
Patienten. Auf die Anstalt kamen dann die Euthanasie-
maßnahmen des Dritten Reiches zu. Der damalige
Anstaltsleiter Dr. Grimme missbilligte zwar die Maß-
nahmen ausdrücklich und versuchte auch gezielt, dass
Verwandte ihre Angehörigen noch rechtzeitig abholten,
setzte ihnen aber keinen entschiedenen Widerstand
entgegen, so dass mehr als 400 Patienten von hier „ver-
legt“ und dann ermordet wurden. Entschiedener ver-
suchte Dr. Grimme, die Schließung der Anstalt zu ver-
hindern, weshalb er für fünf Tage verhaftet und seines
Amtes enthoben wurde. Aber auch dieser Protest blieb
erfolglos.8
1943 wurde die Anstalt endgültig geschlossen (lediglich
im Klostergut Einum bestand ein kleiner Teil fort). Die
Gebäude wurden zur SS-Ausbildungsstätte „Haus Ger-
manien“ umfunktioniert. Hier wurden vor allem Offizie-
re ausgebildet, die sich im Ausland zur SS gemeldet hat-
ten.
Über diese Zeit ist bis heute wenig bekannt. Die „Kleine
Michaeliskirche“ diente als Kino.9 Und in den großen
Kellergewölben sollen reiche Weinvorräte gelagert gewe-
sen sein.11’ Den Kreuzgang wollte man zusammen mit der
Michaeliskirche in das Konzept einer nationalsozialisti-
schen Weihestätte einbeziehen.11 Die Einrichtung einer
solchen Weihestätte wurde vor allem durch den Krieg
verhindert.
Am 22. März 1945 wurde das gesamte Gelände mit wei-
ten Teilen der Stadt Hildesheim durch Bomben zerstört.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Michaeliskloster
auch wegen der SS-Ausbildungsstätte gezielt bombardiert
Volkmar Keil
Die Klostergebäude nach der Säkularisation
Im Zuge der Säkularisation mussten die Mönche im
Jahre 1803 ihr Kloster verlassen. Damit ging eine fast
800-jährige Geschichte des Michaelisklosters zu Ende,
die geprägt war vom Leben nach der Regel des hl. Bene-
dikt. Die Geschichte, die mit dem Jahr 1803 beginnt, ist
von häufigen Veränderungen und zum Teil auch von Tra-
gik geprägt.
Eine wirklich klare Verwendung gab es für die Gebäude
zunächst nicht; sie teilten wohl das Schicksal der Michae-
liskirche, als Lagerhalle zu dienen. Zeitweilig war viel-
leicht auch ein Lazarett hier untergebracht.' In dieser Zeit
setzte ein schneller baulicher Verfall ein.
1826 entschloss man sich, die Gebäude für eine neu zu
errichtende Heil- und Pflegeanstalt herzurichten. Dabei
wurden die Instandsetzungskosten wegen des ruinösen
Zustands höher, als man es sich zunächst gedacht hatte.
Die Heil- und Pflegeanstalt sollte das Tollhaus Celle
ersetzen und den gewandelten Vorstellungen der Pflege
und Behandlung geistig kranker Menschen gerecht wer-
den. Sie wird als eine moderne Einrichtung im Sinne der
damaligen Zeit beschrieben. Dabei wurde das Magdale-
nenkloster mit einbezogen. Dort wurde die Dauerpflege
untergebracht, im Michaeliskloster die Akutpflege.2
Für die Klostergebäude hatte dies vor allem einige Abriss-
maßnahmen zur Folge. Betroffen davon waren der Ost-
flügel und Teile des Nordflügels des Kreuzgangs, das
Krankenhaus und die - möglicherweise seit der Reforma-
tion als Zeughaus dienende — Lambertikirche.3
Außerdem wurde die Nordwand der Michaeliskirche he-
rausgebrochen, so dass die Kirche - die jetzt als Sport-
und Spielhalle für die Kranken diente - vom ehemaligen
Kreuzgarten her frei begehbar und offen war. Die Fenster
des südlichen Seitenschiffes wurden zugemauert.4
Nachdem man 1848 die Michaeliskirche der Gemeinde
zurückgegeben hatte, wurde sie durch C. W. Hase
1855—1857 umfassend renoviert.’’ Dieser rekonstruierte
unter anderem die Nordwand. Auch der Westflügel des
Kreuzgangs muss sich damals in schlechtem Zustand
befunden haben. Jedenfalls hat C. W. Hase nach der
Renovierung der Michaeliskirche auch dort weitreichen-
de Restaurierungsarbeiten durchgeführt.
Die 1709 geweihte so genannte „Kleine Michaeliskirche“
fand nun als Anstaltskirche Verwendung. Hier nahm
man kurz vor dem Zweiten Weltkrieg noch eine wichtige
Veränderung vor: Man verkürzte den Laienteil um ein
Joch und baute an dieser Stelle ein Treppenhaus ein.
Damit wurde die Verbindung der Kirche zur heutigen
Sakristei der Krypta, der südlichen Verlängerung der
„Kleinen Michaeliskirche“6, und zur Bibliothek (heute
Kollegsaal) aufgelöst.
1940 hatte die Heil- und Pflegeanstalt eine durchschnitt-
liche Belegung von 564 weiblichen und 568 männlichen
Patienten. Auf die Anstalt kamen dann die Euthanasie-
maßnahmen des Dritten Reiches zu. Der damalige
Anstaltsleiter Dr. Grimme missbilligte zwar die Maß-
nahmen ausdrücklich und versuchte auch gezielt, dass
Verwandte ihre Angehörigen noch rechtzeitig abholten,
setzte ihnen aber keinen entschiedenen Widerstand
entgegen, so dass mehr als 400 Patienten von hier „ver-
legt“ und dann ermordet wurden. Entschiedener ver-
suchte Dr. Grimme, die Schließung der Anstalt zu ver-
hindern, weshalb er für fünf Tage verhaftet und seines
Amtes enthoben wurde. Aber auch dieser Protest blieb
erfolglos.8
1943 wurde die Anstalt endgültig geschlossen (lediglich
im Klostergut Einum bestand ein kleiner Teil fort). Die
Gebäude wurden zur SS-Ausbildungsstätte „Haus Ger-
manien“ umfunktioniert. Hier wurden vor allem Offizie-
re ausgebildet, die sich im Ausland zur SS gemeldet hat-
ten.
Über diese Zeit ist bis heute wenig bekannt. Die „Kleine
Michaeliskirche“ diente als Kino.9 Und in den großen
Kellergewölben sollen reiche Weinvorräte gelagert gewe-
sen sein.11’ Den Kreuzgang wollte man zusammen mit der
Michaeliskirche in das Konzept einer nationalsozialisti-
schen Weihestätte einbeziehen.11 Die Einrichtung einer
solchen Weihestätte wurde vor allem durch den Krieg
verhindert.
Am 22. März 1945 wurde das gesamte Gelände mit wei-
ten Teilen der Stadt Hildesheim durch Bomben zerstört.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Michaeliskloster
auch wegen der SS-Ausbildungsstätte gezielt bombardiert