Ludwig Münstermann und das Rodenkirchener Altarretabel
Das Epitaph Tantzen von 1649
Das Epitaph der Familie Tantzen (Abb. 14)120 ist nach dem Tode
Ludwig Münstermanns entstanden, es könnte aus der fortbeste-
henden Werkstatt stammen und unter seinen Söhnen entstanden
sein. Die Qualität der Knorpelwerkschnitzereien in den die Rah-
mung begleitenden Flächen weist eine gewisse „Nähe" zum Knor-
pelwerk des Dethmers-Epitaphs auf, die eine Zuschreibung an die
Werkstatt denkbar erscheinen läßt. Das Epitaph weist keine figür-
lichen Schnitzereien auf, es besteht hingegen aus einem Gemälde
des Jüngsten Gerichts in einem Eichenholzrahmen, dessen Bekrö-
nung, seitliche Ohrungen und Unterhang aus Knorpelwerkkartu-
schen bestehen. Die farbige Fassung besteht aus einer schwarzen
Lasur mit Vergoldungen sowie roten und grünen Lüsterungen. Da
die Schriftquellen keine Aussagen zur Farbfassung machen, muß
auch hier angenommen werden, daß die Restaurierung das Ziel
der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes verfolgte.
So sehr sich die Farbfassungen der beiden Epitaphien jedoch
unterscheiden, ist beiden der Aufwand für die farbige Oberflächen-
behandlung gemein. Beim Epitaph Dethmers ist er höher als bei
Altar und Kanzel, beim Epitaph Tantzen scheint er der ergänzten
Teilpolychromierung von 1638 bei Altar und Kanzel zu entspre-
chen. Als Erklärung für den Unterschied der Farbfassungen beim
Altar und bei der Kanzel einerseits und bei dem Epitaph Dethmers
andererseits bietet sich an, in der privaten Auftraggeberschaft
den Anlaß für die differenzierte polychrome Fassung zu vermuten.
14 Rodenkirchen, Epitaph Tantzen, 1649: Zustand nach der Restaurierung
1964 (Aufnahme 1967).
Schlußbemerkung: Der Künstler und sein Werk
Die von Ludwig Münstermann geschaffene Kirchenausstattung
für Rodenkirchen ist in großen Teilen erhalten und zeigt sich nach
der jetzt abgeschlossenen Restaurierung des Altares in einem Er-
scheinungsbild, das den Gottesdienst der Gemeinde von 1629/
1638 bis 1761 begleitet hat. Der Altar wurde 1618 in Auftrag
gegeben und 1629 aufgestellt. Er ist in der Gruppe der Altäre
Münstermanns, die stark durchbrochen sind und einen illusionisti-
schen Bühnenraum mit einer Darstellung des Abendmahls auf-
weisen, der am vollständigsten erhaltene. Auch die Lichtinszenie-
rung entspricht nach der Wiederherstellung der Bleiverglasung in
dem erhaltenen vierbahnigen Renaissancefenster auf der Ostseite
des Chores und der Anpassung der seitlichen Verglasung den In-
tentionen der Entstehungszeit des Altares. Zusammen mit dem
auch in der Farbigkeit der Wände und des Gestühls wiederherge-
stellten Chorraum bietet sich ein eindrucksvoller Raumeindruck,
der - soweit es zu belegen war - der Stimmung der Mitte des
17. Jahrhunderts zu entsprechen scheint.
Die Kanzel von 1631 mit ihrem außergewöhnlich großen
Schalldeckel und einem ebenso umfangreichen theologischen
Programm wie beim Altar zählt zu den aufwendigsten im Werk
Münstermanns. Erfreulich ist auch hier die umfängliche Erhaltung
aller Bestandteile mit Kanzelträger und Kanzelkorb, mit Kanzel-
treppe und Stiftertafel sowie mit dem Schalldeckel.
Die Taufe, die in der Zeit um 1630 entstanden sein dürfte,
war zu Beginn des 19. Jahrhunderts schadhaft und wurde aus
dem Kirchenschiff entfernt, steht mit dem fragmentierten Tauf-
stein wieder an ihrer alten Stelle. Den zugehörigen Taufstein-
deckel darf man sich entsprechend dem in Varel erhaltenen vor-
stellen. Ergänzt wird die Münstermann-Ausstattung der Kirche
in Rodenkirchen durch ein Epitaph von 1637 aus dem letzten
Lebensjahr des Künstlers und ein weiteres von 1649, das mög-
licherweise der Werkstatt zuzuschreiben ist.
Die Künstlerpersönlichkeit wird bei der Betrachtung der Werke
nur ganz schemenhaft deutlich, da viele Aspekte wie die theolo-
gischen Programme, zu der auch die Inszenierung von Licht als
Gottesmetapher zählt, auf die Wünsche der Auftraggeber zurück-
gehen und die formalen Einzelheiten in den zeitgenössischen
druckgraphischen Vorlagenwerken ihren Ursprung haben. Die
Umsetzung bleibt gleichwohl einzigartig und läßt den in der
Drechslerzunft und als Bürger in Hamburg eingebundenen Bild-
hauer Ludwig Münstermann als eigenständige Künstlerpersönlich-
keit spürbar werden, auch wenn die Schriftquellen zu seinen
frühen Jahren schweigen und für die Zeit nach seiner Meister-
sprechung im Jahre 1599 nicht umfangreich sind. Eigene schrift-
liche Aussagen zu seinem Werk liegen nicht vor, so daß beispiels-
weise auch offen bleiben muß, ob Münstermann sich seine Werke
langfristig mit fein differenzierten polychromen Oberflächen vor-
stellte oder mit nur wenig differenzierten Leimüberzügen.
Für die erste Vorstellung sprechen die außerordentlich feintei-
ligen Schnitzereien, die erst über eine entsprechende Farbfassung
die Vorstellung von dem wecken, was sie formal darstellen: Edel-
steine in Metallfassungen, Masken am Übergang vom Vegetabilen
zum Animalischen. Der Altar - wie ein himmlisches Jerusalem -,
die Kanzel und die Taufe sind Orte der Anwesenheit des Göttlichen,
die über die lllusionierung edler Materialien und die Lichtinszenie-
rung (durchscheinend und reflektierend) diese Orte aus der Sphäre
des Alltäglichen herausheben.
Der Altar als Ort, an dem der Mensch mit der Teilnahme am
Abendmahl Gott näherrückt, ist durch seine Gestaltung aus der
Sphäre des täglichen Lebens herausgehoben. Das Licht wird sicht-
bar, die Schwerkraftgesetze gelten scheinbar nicht, selbst durch
den diese Dinge schaffenden Künstler wird die göttliche Kraft an-
schaulich. Denn nur mittels der ihm von Gott gegebenen Kräfte
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Das Epitaph Tantzen von 1649
Das Epitaph der Familie Tantzen (Abb. 14)120 ist nach dem Tode
Ludwig Münstermanns entstanden, es könnte aus der fortbeste-
henden Werkstatt stammen und unter seinen Söhnen entstanden
sein. Die Qualität der Knorpelwerkschnitzereien in den die Rah-
mung begleitenden Flächen weist eine gewisse „Nähe" zum Knor-
pelwerk des Dethmers-Epitaphs auf, die eine Zuschreibung an die
Werkstatt denkbar erscheinen läßt. Das Epitaph weist keine figür-
lichen Schnitzereien auf, es besteht hingegen aus einem Gemälde
des Jüngsten Gerichts in einem Eichenholzrahmen, dessen Bekrö-
nung, seitliche Ohrungen und Unterhang aus Knorpelwerkkartu-
schen bestehen. Die farbige Fassung besteht aus einer schwarzen
Lasur mit Vergoldungen sowie roten und grünen Lüsterungen. Da
die Schriftquellen keine Aussagen zur Farbfassung machen, muß
auch hier angenommen werden, daß die Restaurierung das Ziel
der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes verfolgte.
So sehr sich die Farbfassungen der beiden Epitaphien jedoch
unterscheiden, ist beiden der Aufwand für die farbige Oberflächen-
behandlung gemein. Beim Epitaph Dethmers ist er höher als bei
Altar und Kanzel, beim Epitaph Tantzen scheint er der ergänzten
Teilpolychromierung von 1638 bei Altar und Kanzel zu entspre-
chen. Als Erklärung für den Unterschied der Farbfassungen beim
Altar und bei der Kanzel einerseits und bei dem Epitaph Dethmers
andererseits bietet sich an, in der privaten Auftraggeberschaft
den Anlaß für die differenzierte polychrome Fassung zu vermuten.
14 Rodenkirchen, Epitaph Tantzen, 1649: Zustand nach der Restaurierung
1964 (Aufnahme 1967).
Schlußbemerkung: Der Künstler und sein Werk
Die von Ludwig Münstermann geschaffene Kirchenausstattung
für Rodenkirchen ist in großen Teilen erhalten und zeigt sich nach
der jetzt abgeschlossenen Restaurierung des Altares in einem Er-
scheinungsbild, das den Gottesdienst der Gemeinde von 1629/
1638 bis 1761 begleitet hat. Der Altar wurde 1618 in Auftrag
gegeben und 1629 aufgestellt. Er ist in der Gruppe der Altäre
Münstermanns, die stark durchbrochen sind und einen illusionisti-
schen Bühnenraum mit einer Darstellung des Abendmahls auf-
weisen, der am vollständigsten erhaltene. Auch die Lichtinszenie-
rung entspricht nach der Wiederherstellung der Bleiverglasung in
dem erhaltenen vierbahnigen Renaissancefenster auf der Ostseite
des Chores und der Anpassung der seitlichen Verglasung den In-
tentionen der Entstehungszeit des Altares. Zusammen mit dem
auch in der Farbigkeit der Wände und des Gestühls wiederherge-
stellten Chorraum bietet sich ein eindrucksvoller Raumeindruck,
der - soweit es zu belegen war - der Stimmung der Mitte des
17. Jahrhunderts zu entsprechen scheint.
Die Kanzel von 1631 mit ihrem außergewöhnlich großen
Schalldeckel und einem ebenso umfangreichen theologischen
Programm wie beim Altar zählt zu den aufwendigsten im Werk
Münstermanns. Erfreulich ist auch hier die umfängliche Erhaltung
aller Bestandteile mit Kanzelträger und Kanzelkorb, mit Kanzel-
treppe und Stiftertafel sowie mit dem Schalldeckel.
Die Taufe, die in der Zeit um 1630 entstanden sein dürfte,
war zu Beginn des 19. Jahrhunderts schadhaft und wurde aus
dem Kirchenschiff entfernt, steht mit dem fragmentierten Tauf-
stein wieder an ihrer alten Stelle. Den zugehörigen Taufstein-
deckel darf man sich entsprechend dem in Varel erhaltenen vor-
stellen. Ergänzt wird die Münstermann-Ausstattung der Kirche
in Rodenkirchen durch ein Epitaph von 1637 aus dem letzten
Lebensjahr des Künstlers und ein weiteres von 1649, das mög-
licherweise der Werkstatt zuzuschreiben ist.
Die Künstlerpersönlichkeit wird bei der Betrachtung der Werke
nur ganz schemenhaft deutlich, da viele Aspekte wie die theolo-
gischen Programme, zu der auch die Inszenierung von Licht als
Gottesmetapher zählt, auf die Wünsche der Auftraggeber zurück-
gehen und die formalen Einzelheiten in den zeitgenössischen
druckgraphischen Vorlagenwerken ihren Ursprung haben. Die
Umsetzung bleibt gleichwohl einzigartig und läßt den in der
Drechslerzunft und als Bürger in Hamburg eingebundenen Bild-
hauer Ludwig Münstermann als eigenständige Künstlerpersönlich-
keit spürbar werden, auch wenn die Schriftquellen zu seinen
frühen Jahren schweigen und für die Zeit nach seiner Meister-
sprechung im Jahre 1599 nicht umfangreich sind. Eigene schrift-
liche Aussagen zu seinem Werk liegen nicht vor, so daß beispiels-
weise auch offen bleiben muß, ob Münstermann sich seine Werke
langfristig mit fein differenzierten polychromen Oberflächen vor-
stellte oder mit nur wenig differenzierten Leimüberzügen.
Für die erste Vorstellung sprechen die außerordentlich feintei-
ligen Schnitzereien, die erst über eine entsprechende Farbfassung
die Vorstellung von dem wecken, was sie formal darstellen: Edel-
steine in Metallfassungen, Masken am Übergang vom Vegetabilen
zum Animalischen. Der Altar - wie ein himmlisches Jerusalem -,
die Kanzel und die Taufe sind Orte der Anwesenheit des Göttlichen,
die über die lllusionierung edler Materialien und die Lichtinszenie-
rung (durchscheinend und reflektierend) diese Orte aus der Sphäre
des Alltäglichen herausheben.
Der Altar als Ort, an dem der Mensch mit der Teilnahme am
Abendmahl Gott näherrückt, ist durch seine Gestaltung aus der
Sphäre des täglichen Lebens herausgehoben. Das Licht wird sicht-
bar, die Schwerkraftgesetze gelten scheinbar nicht, selbst durch
den diese Dinge schaffenden Künstler wird die göttliche Kraft an-
schaulich. Denn nur mittels der ihm von Gott gegebenen Kräfte
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