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Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0007
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Vorwort

Niedersachsen zählt zu den Regionen Europas, die über
ein reiches Erbe historischer Orgeln verfügen. Hier haben
Orgelbauer gewirkt, die für die Geschichte dieses Instru-
ments wegweisende Bedeutung haben, Orgelbauer, die
durch ihr grenzüberschreitendes Wirken auch auf die
Eigenschaft der Orgel als gemeinsames europäisches
Kulturerbe verweisen. Hendrik Niehoff aus s'Hertogen-
bosch, der Schöpfer der Brabanter Orgel, kann als Pionier
des Orgelbaus in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
gelten. Nicht minder von Bedeutung ist die Familie der
Siegel, die gleichfalls in Niedersachsen wirkte und unter
anderem für den Grafen von Hoya tätig war. Die
Orgelbauerfamilie Scherer, zu Beginn des 17.
Jahrhunderts in Hamburg ansässig, brachte wichtige
Innovationen in den Orgelbau ein und schuf den
Hamburger Prospekt. Einen folgenreichen Einfluss hatte
im 17. Jahrhundert die mitteldeutsche Orgelbautradition,
vertreten durch Gottfried Fritzsche und Esaias Com-
penius. Unter Arp Schnitger, der diese Traditionslinien zu
einem neuartigen Ganzen verarbeitete, wurden schließ-
lich die Instrumente erbaut, die vielfach als Prototyp des
barocken norddeutschen Orgelbaus gelten. Im südlichen
Niedersachsen hatte sich zur selben Zeit ein gleichrangi-
ges Zentrum künstlerischen Orgelbaus entwickelt, für das
die Instrumente von Andreas Schweimb charakteristisch
sind. Sein Einfluss reichte bis nach Westfalen und stellt
die Verbindung zu den Werken der Familie Klausing und
Johann Patroklus Möller her.
Die handwerkliche und künstlerische Qualität dieser
Instrumente lebte fort in den Werken der nachfolgenden
Orgelbauer, wie Christian Vater oder Erasmus Bielfeldt.
Unter Christian Treutmann treten abermals mitteldeut-
sche Einflüsse auf, die neben den anderen Orgeln dieser
Zeit ein Spiegel der reichen Vielgestaltigkeit des nieder-
sächsischen Orgelbaus sind. Im 19. Jahrhundert stehen
Johann A. Engelhardt, Philipp Furtwängler - später Ph.
Furtwängler und Hammer -, die Familie Rohlfing und
weitere Meister für den Orgelbau in Niedersachsen, der
auf eine bedeutende Tradition aufbauen konnte, sich
klanglichen wie technischen und architektonischen
Neuerungen aber nicht verschloss. Ein weiteres Mal ist
Niedersachsen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ideelles
Zentrum der Orgelkultur. Die so genannte Orgelbe-
wegung trat für die Rückbesinnung auf die Prinzipien
barocken Orgelbaus ein. Christhard Mahrenholz war
einer der führenden Programmatiker und damit einher-
gehend auch der Initiator von Orgelrestaurierungen. Die
Orgelbewegung prägte schließlich auch den Orgelbau
der Nachkriegsjahrzehnte. Das barocke Klangideal wur-
de von Orgelbauern wie Paul Ott mit künstlerischem
Anspruch neu formuliert, die von Mahrenholz initiierten

Restaurierungsmaßnahmen fanden eine sich verstärken-
de Fortsetzung.
So besitzen viele Instrumente, deren Bauzeit bis hinein in
das 15. Jahrhundert reicht, wertvolle historische
Pfeifenbestände. Über die Interpretation zeitgenössischer
Orgelmusik kann man die damaligen Klangideale und
Hörgewohnheiten lebendig werden lassen. Die mitunter
sehr prachtvollen Gehäusearchitekturen sind integraler
Bestandteil der Innenräume. Sie konstituieren ganz
wesentlich die Identität von Sakralräumen. Oftmals sind
sie die einzig erhaltenen Relikte bedeutender früherer
Zeiten, in denen aufwändige Innenausstattungen ge-
schaffen wurden, von welchen aber wegen der Anpas-
sung vieler Räume an neue Nutzungserfordernisse nur
wenig erhalten geblieben ist.
Vor ähnlichen Schicksalen sind indessen auch die Orgeln
nicht bewahrt geblieben. Im Laufe der Zeit ist es immer
wieder zu gravierenden Veränderungen oder gar
Zerstörungen wertvoller und sicherlich auch denkmalwer-
ter Orgeln gekommen. Die Ursachen hierfür sind vielfäl-
tig. Sich wandelnde Vorlieben, was Orgelklang und -
musik betrifft, und auch ein mitunter allzu vordergründi-
ges Modernitätsstreben wären hieranzuführen. Während
in den Nachkriegsjahrzehnten die romantisch geprägten
Orgeln des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts einer
Welle von Umbauvorhaben zum Opfer fielen, sind es nun
gerade die Instrumente dieser Nachkriegszeit, welche
zunehmend in der Kritik stehen - weil ihre technische
Ausstattung heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt,
weil ihre klangliche Konzeption für die Darstellung der
Orgelmusik, wie sie heute aufgeführt wird, nicht im
gewünschten Umfang gerecht wird, weil auch sie nicht
mehr zeitgemäß erscheinen.
Das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege
(NLD) möchte diesen und weiteren Verlusten von
„unzeitgemäßen" Orgeln entgegenwirken. Zu diesem
Zweck unterhält es das Spezialgebiet Orgeldenkmal-
pflege, dem als besonders bemerkenswertes Arbeits-
mittel seit 1997 eine Orgeldatenbank (ORDA) zur Ver-
fügung steht, die in ca. 33.000 Datensätzen Auskunft zu
knapp 6.500 Orgeln gibt. Um ihre Aktualität zu gewähr-
leisten, wird sie in regelmäßigen Abständen überarbeitet.
Sie ist inzwischen als Informationsquelle für die
Orgeldenkmalpflege unentbehrlich. Erst auf ihrer Basis ist
es möglich, an vergleichende Aussagen zum landeswei-
ten Bestand an Orgeln zu gelangen und die Grundlagen
für ein Inventar der Orgeln mit eigenständigem
Denkmalwert zu legen, das auch die Entwicklung im
Orgelbau der Nachkriegsjahrzehnte in angemessener

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