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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: System Denkmalpflege - Netzwerke für die Zukunft — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 31.2004

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Plenum und Tagungsabschluss
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https://doi.org/10.11588/diglit.51150#0481
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Denkmalpflege heute - Krise und Ausblick

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rische Verantwortung, nimmt ja nicht ab, sondern sie
steigt. Und sie steigt gerade auch da, wo viel externer
Sachverstand ins Spiel gebracht wird, der ja nicht nur zu
protokollieren und weiterzuleiten, sondern auch zu
gewichten und für die Umsetzung in die Praxis zu
bewerten ist. Man mag den Zuwachs an wirklichem oder
möglichem Wissen, das heute zur Verfügung steht,
beklagen und sich in einfachere Zeiten zurückträumen,
in denen der Konservator aus seiner Kenntnis und
Erfahrung (als guter Hausarzt gewissermaßen) schon
wusste, was für seine Schutzbefohlenen gut war. Ich lese
auch neuerdings Papiere von jungen Kollegen, „Vor-
untersuchung als Placebo“ zum Beispiel, die versuchen,
theoretisch zu begründen, dass man Ballast über Bord
werfen müsse, dass die ganze Verwissenschaftlichung
der Denkmalpflege überflüssig und lästig sei. Mir
erscheint beides als Flucht.
Aber ich sehe auch, dass die Disziplin in ihrer
heutigen Verfassung sich schwer tut. Um so mehr ver-
wundert es mich immer wieder, dass es so wenig
explizite und öffentliche Diskussion bei Ihnen gibt.
Vom Rande des Spielfeldes aus ist nur schwer zu begrei-
fen, dass eine Disziplin, der es ja inzwischen an Publi-
kationen wahrlich nicht mangelt, sich selbst (und ande-
ren Interessierten) ein Forum verweigert, wo denkmal-
pflegerische Maßnahmen und Entscheidungsprozesse
öffentlich kontrovers diskutiert werden in einer Art von
Rezensionswesen etwa, ohne das bisher noch kein Fach
ausgekommen ist, das sich selbst wissenschaftlich ernst
nimmt. Sicher: Es gibt die Fülle überaus wichtiger und
unverzichtbarer Berichte über Befunde, Verläufe und
Ergebnisse. Aber: Wo erfährt man wirklich etwas über
innere und äußere Zwänge, über Abwägungen und deren
Kriterien, über Alternativen etc.? Wo ist die kompetente
und kritische Diskussion dazu, die nun einmal nur von
den Fachleuten, von Ihnen also kommen kann? Und
würde nicht, last not least, in einer solchen Diskussion
auch wieder sichtbarer werden, wie viel hervorragende
Arbeit, weit über die Pflichten des Alltags hinaus, in der
Denkmalpflege geleistet wird? Freilich: Auch die Ver-
luste und die Niederlagen würden deutlicher als bisher.
Aber: Wäre es nicht längst an der Zeit, einmal darüber
nachzudenken, ob unserer Sache mittelfristig nicht mehr
gedient wäre, wenn denkmalpflegerische Niederlagen
auch als solche erkennbar wären und nicht kaschiert
würden? Könnte nicht vielleicht die Lücke, die das ver-
lorene Gebäude reißt, mehr für die verbleibenden Denk-
male tun als der denkmalpflegerisch beratene Neubau in
Anpassungsarchitektur, der suggeriert, im Grunde sei
doch alles in Ordnung? Gewänne die Denkmalpflege
damit nicht an Glaubwürdigkeit und würden damit nicht
auch die Überlebenschancen der real existierenden
Denkmale wachsen?
Um eine Diskussionsfrage vorweg zu nehmen, ich
persönlich glaube nicht, dass wir neue Denkmalschutz-
gesetze brauchen - bessere bekämen wir ohnehin nicht
- wohl aber eine intelligente, offensive und selbst-
kritische Anwendung der bestehenden Gesetze. Ich
nenne dafür nur ein einziges Beispiel, das scheinbar ja
rein technisch operative, aber doch so brisante Thema

der Denkmallisten. Unter den vielen Gefahren, die unser
Land bedrohen, ist ja bekanntlich auch die in geo-
metrischer Progression wachsende Zahl der Denkmale.
Ihr Vater, so heißt es in Ministerien wie in esoterischen
Denkzirkeln, ist ein gewissenloses Subjekt, genannt
„der erweiterte Denkmalbegriff1. Beweisstück: Die
Denkmallisten, die immer länger werden. Dabei weiß
doch eigentlich jeder Kundige, dass dies zwar für die
Buchform gilt, dass aber gleichzeitig der tatsächliche
Denkmalbestand im Lande sich radikal vermindert. Was
nur nicht aktenkundig wird, weil, aus welchen Gründen
auch immer, niemand daran zu arbeiten scheint, die
Listen auf dem Stand zu halten. Was ja auch hieße,
Bauten, die so verändert sind, dass sie ihren Denkmal-
wert längst verloren haben, auch wieder aus der Liste zu
streichen.
Ohne Zweifel hat jeder von Ihnen noch viele andere
und wichtigere Themen auf dem Herzen, die in die
Agenda gehören. Einer Hausaufgabe allerdings werden
wir uns nach dem KMK-Papier nicht mehr lange ent-
ziehen können, der Auseinandersetzung mit der jüngs-
ten Geschichte der Denkmalpflege nämlich. Denn so
wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben, wo wir Alten zu
verstehen geben: „Ja, als wir noch jung waren “ und die
Jüngeren denken: „Na ja, das waren halt bessere
Zeiten“. Vielleicht waren ja, nur eine Frage, die Jahre
nach 1975 auch im Goldenen Westen gar nicht so gut?
Jedenfalls nicht für die Denkmale? Wenn unterlassene
Aufklärung, unterlassener Widerstand auch Formen
unterlassener Hilfeleistung sind, dann haben wir uns
einiges zuschulden kommen lassen. Ich glaube, es ist
nicht nur Schwarzmalerei, wenn ich sage, dass es uns
allen, wirklich allen, und ich schließe mich und meines-
gleichen ausdrücklich mit ein, die wir seit Jahren und
Jahrzehnten für die Denkmalpflege eintreten, nicht
wirklich gelungen ist, einer breiten Öffentlichkeit ein
Denkmalverständnis nahe zu bringen, das der Wirklich-
keit der Denkmale gerecht wird. Dass es etwa, um nur
Elementarstes zu nennen, bei der Denkmalpflege nicht
um den schönen Schein, auch nicht um Identitätsstif-
tung, die Herstellung heiler Welten oder um rekonstru-
ierenden Geschichtsersatz geht, sondern um den verant-
wortlichen Umgang mit realer Geschichte. Die nicht nur
falschen, sondern auch gefährlichen Erwartungen, de-
nen wir uns ja - nur eines von vielen Alarmzeichen - ge-
genüber sehen, kommen schließlich nicht von ungefähr.
Ich schließe mit Sätzen, die mir bei einer vergleich-
baren Gelegenheit schon einmal Ärger eingebracht
haben, an deren Inhalt ich aber festhalten möchte. Ich
kann mir gut vorstellen, wie ein oft zermürbender All-
tag mit indolenten Obrigkeiten, zähen Verwaltungs-
abläufen, widerborstigen Denkmalbesitzem und dann
auch noch universitärer Besserwisserei alle Kräfte
absorbieren kann. Berichten möchte ich aber doch, dass
die wenigen, zugegebenermaßen viel zu wenigen, die
sich an den Hochschulen als Mitstreiter der Denkmal-
pflege verstehen, aber auch interessierte und engagierte
Bürger manchmal seufzen, und dann sagen „die, die
Denkmalpfleger, die haben es gut, die können etwas
tun“. Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
 
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