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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: St. Michaelis in Hildesheim — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 34.2008

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Binding, Günther: St. Michaelis in Hildesheim - Einführung, Forschungsstand und Datierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51162#0059
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St. Michaelis in Hildesheim
Einführung, Forschungsstand und Datierung

retiker dürfte dabei aber die Regel und Bernward -
nicht zuletzt dank seines „Zusatzstudiums'' - eher die
Ausnahme gewesen sein. [...] Bereits während seiner
Ausbildungszeit hatte er sich Kenntnisse angeeignet,
die ihn dazu befähigten, Kunsthandwerk selbst aktiv
zu betreiben."2
Bauherren werden mehrfach im Zusammenhang mit
ihren Kirchen- und Klostergründungen architectus
oder sapiens architectus genannt, entsprechend dem
Pauluswort in 1. Korinther 3,10: „Wie ein weiser Ar-
chitekt habe ich das Fundament gelegt" (Ut sapiens
architectus fundamentum posui).3 Dieses auf die
ecclesia spiritualis bezogene Wort wird auf die eccle-
sia materialis, den realen Kirchenbau, übertragen.
Hierbei wird nicht unterschieden, ob die Gründung
bzw. Stiftung im Allgemeinen oder die tatsächliche
Grundstein- und Fundamentlegung gemeint sind.
Auch die häufige Mitteilung, ein Bauherr habe eine
Kirche gebaut (aedificavit, construxit), gibt keinen
Hinweis auf seine Beteiligung an der Planung oder
Bauausführung. Hiermit werden allgemein Initiative,
Stiftung, Auftrag und Mittelbereitstellung sowie Or-
ganisation bezeichnet, nicht jedoch die Beteiligung an
Entwurf und Ausführung. Mit der Organisation be-
auftragte der Bauherr zumeist einen Bauverwalter,
einen Theologen oder im städtischen Einflussbereich
ein Ratsmitglied, während die Ausführung und Bau-
gestaltung ein im Handwerk - Stein und Holz - aus-
gebildeter Werkmeister (magister operis) übernahm.
Das Anordnen bzw. Bestimmen der Gebäude (desig-
natiö) und deren Vermessung4 sind wichtige
Ereignisse, die neben Stiftung, Grundsteinlegung,
Bauausführung und Weihe zum Lob des Stifters und
Bauherrn erwähnt werden. Hierbei wird verschiedent-
lich deren persönliche, praktische Mitarbeit hervorge-
hoben, ohne dass jeweils belegt ist, sie hätten diese
auch tatsächlich aufgrund eigener Kenntnis (ars) oder
Erfahrung (usus) getätigt.5 So muss nun zum Schluss
der Versuch gewagt werden, die wichtige, in der Lite-
ratur immer wieder angesprochene Frage zu beant-
worten, inwieweit Bischof Bernward in Hildesheim
praktisch, das heißt eigenhändig (manu propria)
kunsthandwerklich tätig gewesen ist und auf welche
Weise und wie intensiv er auf die bauliche Gestaltung
von St. Michaelis Einfluss genommen hat. Hierzu eine
Antwort zu geben, ist ein schwieriges Unterfangen,
muss aber immer wieder versucht werden, denn der
Standpunkt der einzelnen Autoren, der veränderte
Kenntnisstand und die sich wandelnde Sichtweise er-
fordern dieses.

Ausbildung und Fähigkeiten Bernwards
Wenn man sich die zeitgenössischen Äußerungen
über den Einfluss der Bauherren auf das Bauge-
schehen vergegenwärtigt (s. u.), wird deutlich, wie
ungewöhnlich ausführlich die Charakterisierung
Bernwards durch seinen Lehrer an der Hildesheimer
Domschule, Thangmar, ist, der auch, als Bernward
993 Bischof von Hildesheim geworden war, weiterhin
die Domschule leitete und Bernward unterstützte, ins-
besondere im Streit um Gandersheim zwischen
Bernward und dem Mainzer Erzbischof Willigis, der
ihn zum Priester und Bischof geweiht hat. So vertrat
Thangmar als Domdekan den erkrankten Bernward
am 15. August 1001 auf dem Konzil in Frankfurt und
reiste wegen des Gandersheimer Streites Mitte
Dezember 1001 zu Kaiser Otto III. nach Spoleto und
hielt sich über Weihnachten bis zum 11. Januar 1002
in Todi auf.5 Thangmar berichtet in den ersten zehn
von ihm vor 1000/1001 verfassten Kapiteln der 1192
für die Heiligsprechung Bernwards zusammengestell-
ten Vita Bernwardi über Lebenslauf, Ausbildung,
Tätigkeiten und Interessen Bernwards.
Bernward ist vor oder um 960 als Sohn des Mark-
grafen Dietrich (gest. 995) und seiner Frau Fritherun
(gest. vor 996), Tochter des sächsischen Pfalzgrafen
Athalbero, geboren7 und wurde von dem Bruder sei-
ner Mutter, Folcmar, Mitglied des Hildesheimer
Domkapitels, 975/76 Kanzler Ottos II. und 976-990
Bischof von Utrecht, zum Hildesheimer Bischof
Othwin (954-984) in die Domschule geschickt, wo ihn
Thangmar, der Vorsteher der Knabenschule (quiprimi-
cerius scolae puerorum praeeram), erzog (moribus
instituendus) und in den septem artes liberales unter-
richtete (Jitteris imbuendus).3 Zudem beschäftigte er
sich mit den artes mechanicae?
„Und obwohl er mit dem höchst lebendigen Feuer
seines Geistes in dem ganzen freien Wissen brannte,
so hat er doch nicht weniger sein Studium den niede-
ren Künsten, die man die mechanischen nennt,
gewidmet. Im Schreiben hat er ganz besonders
geglänzt, die Malerei übte er mit größter Sorgfalt, im
Goldschmiedewissen, in der Fertigkeit, [Metall]fassun-
gen anzufertigen, und in jedem Baugefüge (structura)
tat er sich in erstaunlicher Weise hervor, wie sich spä-
ter an zahlreichen Bauten zeigte, die er mit prächtiger
Zierde gestaltet hat. In den häuslichen Tätigkeiten
und in der Güterverwaltung bewies er höchste
Tatkraft."
„Et quamquam vivacissimo igne animi in omni liberal!
scientia deflagraret, nichilominus tarnen in levioribus
artibus quas mechanicas vocant Studium impertivit. In
scribendo vero adprime enituit, picturam etiam limate
exercuit, fabrili quoque scientia et arte clusoria omni-
que structura mirifice excelluit, ut in plerisque aedifi-

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