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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen — Petersberg: Imhof, Heft 41.2014

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Zur Situation der Wandmalereirestaurierung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.51159#0048
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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen

hin. Bei Doerner ist die Erwähnung von Kalkwasser
und „Topfenkasein" zur Festigung zu finden. Von der
Verwendung von Wasserglas riet er aufgrund von
Krustenbildung, Ausblühungen und optischer Verän-
derung der Malerei ab.363
Zur Ergänzung von Fehlstellen in der Malschicht seien
nach Eibner Kalkkasein oder Keimfarben geeignet.
Auch Wachsfarben seien vorstellbar. Doerner riet bei
a secco ausgeführten Malereien ebenso zu Wachs-
emulsion und Kasein, zusätzlich zu Ei, in Außenbe-
reichen verwende man Kalkkasein. Fresken seien mit
Wachspottascheemulsion364 und Dammarfirnis oder
Wachs in kohlensaurem Ammon zu retuschieren, da
solche Retuschen sich einwandfrei einfügten. Er wies
nicht nur auf die Materialien für die Retusche, son-
dern auch auf ihre Ausführung, die „am besten stri-
chelnd" zu geschehen habe, hin: „Bei wertvollen
Arbeiten wird man keinerlei Eingriffe, Ergänzungen
oder Übermalungen vornehmen, sondern Fehlstellen
in einem neutralen, dem Gesamtton sich gut einfü-
genden Farbton halten. Nicht mehr darf künftig der
Restaurator in solchen Fällen seinen Ruhm darin
sehen, dem Beschauer die Echtheit eingefügter
Stellen vorzutäuschen."365
Obwohl Entstehungszeit der zitierten Publikationen
und Fachdisziplinen der Autoren verschieden sind,
sind die restauratorischen Empfehlungen, wenn sie
erfolgen, recht ähnlich. In der Erforschung von Scha-
densursachen sind vor allem deshalb Unterschiede
erkennbar, weil die Herleitungen des Chemikers Eib-
ner eine stark naturwissenschaftliche Ausprägung
hatten und bezüglich der chemisch-physikalischen Zu-
sammenhänge detaillierter sind. Sowohl bei ihm als
auch bei Berger ist die Erforschung der Schadensur-
sachen nur zum geringen Teil als restauratorische Auf-
gabenstellung erfolgt. Vielmehr hatten die maltechni-
schen und naturwissenschaftlichen Studien eine Ver-
besserung der historischen Techniken für die moderne
Ausführung von Malerei zum Ziel. Somit könnte die
Schadensursachenforschung als präventive Maßnah-
me benannt werden, die eine Vermeidung von
Schadensfaktoren und die Vorbeugung gegen vorzei-
tige Zerstörung von neu zu schaffenden Wandmale-
reien anstrebte.
In den Empfehlungen zu Schadensbehebung und
Restaurierung sind sämtliche Beiträge noch empirisch
geprägt. Hier sei als Beispiel die Feststellung Eibners
bezüglich der „Fäulnis" und der Gefahr von mikro-
biellem Befall von Kaseinfarbenmalerei genannt, de-
ren Problematik er später selbst aufhob, indem er
Kasein als mögliches Festigungsmittei nannte.
Die für Reinigung, Festigung und Retusche genannten
Techniken und Materialien stimmen weitestgehend
überein. Ebenso die Warnungen vor starken Reini-
gungsmitteln wie Salzsäure und vor Überzügen. Die
Folgen hiervon wurden jedoch längst nicht so aus-
führlich beschrieben wie die Folgen mangelhafter

Malmaterialien und -techniken. Obwohl diese Metho-
den von namhaften Chemikern und Maltechnikern
abgelehnt wurden, hat sich ihr Verzicht in der restau-
ratorischen Praxis nur langsam durchgesetzt. Dass die
Problematik ungeeigneter Restaurierungsmaterialien
auch in den 1960er Jahren noch aktuell war, zeigen
die noch immer ausgesprochenen Warnungen bei
Wehlte.

Resümee
Restaurierungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts
waren vor allem geprägt durch ihre stilvereinheitli-
chenden Tendenzen. Die Entfernung stilwidriger'
Zutaten und die Wiederherstellung eines fiktiven
Zustands zur Entstehungszeit hatte die Reproduktion
des historischen Raumkonzepts mit seiner Einheit von
Architektur und Ausstattung zum Ziel. In den rekons-
truierenden Nachschöpfungen mittelalterlicher Aus-
malung zeigte sich vor allem der Wunsch nach Rück-
gewinnung ikonografischer und stilistischer Zusam-
menhänge. Während der künstlerischen Aussage gro-
ßer Wert beigemessen wurde, kam dem historisch
überlieferten ,Original' und seiner authentischen
Erhaltung nachrangige Bedeutung zu.
Zur Umbruchsituation kam es um 1900, nachdem be-
reits seit den 1880er Jahren Stimmen laut geworden
waren, die für die Erhaltung von Kulturdenkmalen mit
ihren historischen Zutaten und in ihrem überlieferten
Zustand plädiert hatten. Wenn auch die Anhänger der
historischen Schule im Jahr 1900 noch die Mehrheit
bildeten, kam es kurze Zeit später zu Grundsatzdis-
kussionen in der deutschsprachigen Denkmalpflege,
deren Folgen sich auch in der niedersächsischen Res-
taurierungspraxis ablesen lassen. Restaurierung und
Denkmalpflege bewegten sich zwischen den Gegen-
polen des Wunsches nach hypothetischer Wiederher-
stellung der ursprünglichen künstlerischen und ikono-
grafischen Aussage einerseits und des Wunsches nach
Erhaltung des überlieferten ,Originals' andererseits.
Die um 1900 laut werdenden Proteste führender
Kunsthistoriker und Denkmalpfleger gegen die beste-
hende Art der Restaurierung hatten großen Einfluss
auf Fachleute und auf die Öffentlichkeit. Diese Ge-
genbewegung, die für den urkundlichen und histori-
schen Wert von Kulturdenkmalen plädierte, bildete
das Fundament für die in der ersten Dekade des
20. Jahrhunderts entwickelten innovativen denkmal-
pflegerischen Auffassungen und Restaurierungsme-
thoden. Diese Theorien basierten auf der Einschät-
zung, dass durch die Wiederherstellungen des
Historismus gravierende Verluste entstanden seien.
Durch Nachschöpfungen mittelalterlicher Kunst,
hypothetische Rekonstruktionen und Überarbeitung
des vorhandenen Bau- und Malereibestands waren
die Originale nach ihrer Auffassung künstlerisch und
 
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