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Der Affenspiegel: satyrische Wochenschrift — 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.48272#0018
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Seite 4.

„Der Affenspiegel".

Heft 2.

Dann warf er sich in sein Bette,
Daß Bretter und Nachttisch gekracht —
Ich aber dachte: „Da schau mal!
Ich hab ihn mir dümmer gedacht!" — —
Michel.


Die verkehrte Welt.
Der liebe Gott hatte einmal die schnurrige Idee, Sozialde-
mokrat zu werden. Das wird mir wahrscheinlich niemand glauben,
denn bekanntlich waren die Götter stets sehr konservativ gesinnt
und größtenteils für die Reichen ans der Welt oder im Himmel.
Es ist aber doch so, wie ich sage. Durch einen selbst dem Teufel
zu zähen Revolutionär hatte der liebe Gott sich ganz demokratische
Ideen ungeeignet. Der ganze Himmel wurde bereits anstatt mit
weißen, mit roten Lilen geschmückt — und Petrus öffnete fortan
allen himmelstürmendeu Jungfrauen und Aristokraten (andere
kommen nicht in den Himmel) mit einer roten Zipfelmütze am
Haupt, was natürlich nicht geringes Entsetzen unter allen Gerechten
hcrvorrief. Selbst die Engel äußerten gemäß dem Willen ihres
Gebieters eine ausgeprägte Vorliebe für Rot.
Der liebe Gott wollte nun aber auch seine umstürzlerischen
Ideen in dec Praxis bethätigen und verfügte, daß die Weltgeschichte
sich nufhöre. Wenn der liebe Gott das befiehlt, so geschieht es
selbstverständlich auch. Da unten auf der Erde blieb mit
eincmmale die Weltgeschichte stehen, d. h. der deutsche Reichstag
Ivar vollzählig versammelt und die Engländer liefen auf einmal nicht
vor Dewet davon. Niemand auf Erden wußte, was er davon
halten solle. Doch es kam noch schlimmer. In einem neuen
Erlaß, den die himmlische Bezirksamtmannschaft hernusgegeben,
wurde der Weltgeschichte befohlen, umgekehrt weiterznlaufen. Frau
Clio erötete zwar bedenklich, gehorchte aber doch -- bekanntlich
richtet sich die Weltgeschichte immer nach höheren Wünschen —
und lief auf dem Kopf weiter, was gar nicht moralisch aussah.
Die Menschen aber waren baff, als sie sahen, daß die Weltge-
schichte auf dem Kopfe stand. Einige Pessimisten behaupteten sogar
schon, die Junker hätten den Kanal geschluckt und knüpften die
schwerwiegendsten Befürchtungen daran. Es Ivar aber viel schlimmer,
wie sich in einigen Stunden, nachdem der Weltgeschichte bereits
das Blut in den Kopf gestiegen war, zeigen sollte. Die Sozial-
demokraten führten nämlich Plötzlich das erste Wort im Reichstage
und proklamierten die Volkssouveräuitüt. Graf Bülow fand seinen
Verstand nicht — er hatte ihn verloren —, die Junker wollten
auf einmal Schulen bauen und Brod backen und das Centrnm

versicherte, es wolle aus dem Wirrwarr keinen Nutzen ziehen, was
sehr ehrlich gemeint war, da diesmal im Reichstage nichts mehr
zu profitieren war, weil, wie gesagt, die Sozis die Oberhand ge-
wonnen hatten, und einfach, weil die Weltgeschichte auf dem
Kopfe stand.
Alles war verrückt geworden — bildlich gemeint. Die
Soldaten brieten eine neue Militärvorlage auf ihren Bajonnetten
über den Flammen der Empörung, Herr Stöcker hielt vor ver-
sammeltem Volke eine zündende Rede gegen den Bauch derer, die
zu viel fressen und verband damit eine Erklärung, der Kapitalismus
sei die Erbsünde der nackten Eva, Herr Maschinenmeister Krupp
fraß eben ein paar Sozialisten, die er aber auf offener Straße
unverdaut wieder von sich gab, da sein Magen schwach geworden
war, der Prinz von Wales erließ ein Edikt, wonach alle Jung-
frauen heilig gesprochen und die Bordelle als Satansbauten ver-
dammt wurden, ja, er entließ sogar eine Theaterdame unbehelligt
ans seinem Kabinett, der Kaiser von Rußland küßte auf offener
Straße einen singhalesischen Anarchisten und aß trotz seiner Bomben-
furcht bayerische Knödel mit Kraut, die ihm nicht einmal im
Magen liegen blieben, das spanische Volk schrie: Heil dem Könige
und trug eine feiste Jesuitenköchiu auf seinen Schultern, die
italienische Polizei erklärte alle Denunzianten für Schufte und trank
Bruderschaft mit dem Proletariat, Dewet wurde gefangen und
Kitchener sah ihn, ohne in die Hosen zu machen, in China ver-
söhnte sich die alte Kaiserin mit Waldersee, und das zarte Ver-
hältnis wurde durch einen „Bund der Jugend gefeiert", den
Major Laufs iu rasselnden Dythriambeu besang — kurzum, die
Weltgeschichte stand am Kopf!
Am tollsten gings aber in Deutschland zu. Die Aristokratie
spaltete Holz und Eugen Richter ritt eine preußische Vollblutstute
zu, der Pöbel proklamierte die Göttin der Vernunft und ernannte
hiezu die Rosa Luxemburg, Gerhart Hauptmann bekam den schwarzen
Adlerorden, den er nicht annahm, die Hoflakaien trugen rote
Strümpfe und die Junker ließen sich Wasser kalt stellen, weil sie
den Champagner für gesundheitsschädlich hielten, was zu der allge-
meinen Befürchtung Anlaß gab, sie möchten mit eincmmale normal
geworden sein, Aachen hatte keinen einzigen Sittlichkeitsprozeß und
die deutschen Offiziösen schickten ein Hntdigungstelegramm an
Bebel, Prinz Arenberg ward vom Thierschutzverein prämiert und
die Rinozerosse des zoologischen Gartens — auch Bvurgosie genannt —
liefen jauchzend auf den Straßen umher, kurzum — es war ein
Tag des Festes — —
In dem Ehebett des Grafen von Hoheschraubelos dehnte sich
ein nichtswürdiger Prolet mit seinem Ehegespons, und sie fanden
die Daunen ganz passabel gegen den Strohsack, eine für unzarte
Geschäfte prädestinierte Proletin probierte ein englisches Nachthemd
vor dem Venezianer in dem erbfürstlichen Palais, ein Trupp
Revolutionäre plünderte den Speisesaal des Schlosses von Schweine-
burg, wo eben ein Festdiner zu gunsten armer legitimer Waisen
und Wöchnerinnen abgehalten werden sollte; sie verschluckten etliche
Tausend Austern samt Schalen und tranken das parfümierte
Mnndspülwasser dazu, wobei sie von erlauchten Serenissimis
 
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