Allgemeine Kunst-Chronik.
223
der Ausstellung, die alle Erwartungen übertrifft. Es wird
ernstlicher Platzmangel befürchtet. Besonders zahlreich
sind die Anmeldungen aus Russland, Spanien, Amerika,
aber auch aus Österreich-Ungarn. Die Eröffnung der
Ausstellung durch den Kaiser und unter Anwesenheit
der Kaiserin Friedrich erfolgt bestimmt am 1. Mai.
Paris. Die Vorläufer der beiden großen „Salons"
bilden einige interessante Ausstellungen: die der „Gra-
veurs au burin" im Cercle de la Librairie; die wichtigere
der „Peintres-Graveurs", welche sich unter dem Vorsitz
von Bracquemond als Gesellschaft konstituirten, in der
Galerie Durand-Ruel mit über 400 Schöpfungen von
Bracquemond, Guerard, Besnard, Buhot, Carriere, Cheret,
Desboutin, Fantin-Latour, Gceneutte, Lepere, Morin,
Ribot, Riviere u. s. w.; und die wichtigste der Pastell-
maler in der Galerie George Petit, welche sehr viel des
Sehenswerthen enthält, wie „La Convalescente" von
Dagnan-Bouveret, „Coin de coulisse" von Forain, Bild-
nisse von J. Büraud und Gervex; auch Besnard, Duez
und viele Andere sind gut vertreten. Auch die Aus-
stellung der „Unabhängigen" im Pavillon der Stadt
neben dem Industrie-Palaste mag nicht unerwähnt
bleiben. Dieselbe bringt 1254 Bilder von 226 Künstlern
zur Ansicht; nicht viel, wenn man bedenkt, dass von
8000 beim Salon des Industrie-Palastes eingereichten
Werken 6400 zurückgewiesen wurden. Man sieht daraus,
dass es eine große Anzahl von Künstlern gibt, welche
es vorziehen, sich gar nicht zu zeigen, wenn man sie
im Salon verschmäht. Andererseits stellen wieder viele
Künstler bei den „Unabhängigen" aus, welche nicht im
Salon zurückgewiesen wurden, aber aus grundsätzlicher
Feindschaft gegen das System der Geschworenen dort
nicht einreichen. In der Ausstellung der „Unabhängigen"
bilden gewissermaßen eine Ausstellung für sich 64 Bilder
des verstorbenen Punktirmalers Dubois-Pillet, gewiss eine
Sehenswürdigkeit. Man sieht hier Werke von Serendat-
Belzim, Tenaille, dem verstorbenen Van Gogh; liebliche
Genre-Bilder von Ranft, welche auch dem Salon nicht
zur Unehre gereichten. Das „Spanische Stiergefecht"
von Pollak kann schon um seiner räumlichen Größe
willen nicht übersehen werden. c.
Rouge et Noir
betitelt sich die letzte Novität dieser Saison im Opern-
haus. Rascher Aufflug und jäher Sturz, prickelnder
Nervenreiz durch liederliche Liebschaften und waghalsiges
Spiel, Knallen der Pistolenschüsse an sich verzweifelnder
Selbstmörder und ringsum das muntere Gewoge einer
bacchantisch frohen, vergnügungslüsternen Menge, all das
spielt sich in effektvollen Bildern vor uns ab. Ein Stück
lebendiger Wirklichkeit, aus dem bewegten Treiben von
Monaco und Nizza herausgesebnitten, tollt sich da aus,
freilich mit allerhand feeriemäßigen Zuthaten vermengt,
ohne die nun einmal einem Ballet nicht auf die Beine
zu helfen ist. Mehr Spiel als Tanz, mehr Tanz als Musik,
aber augenblendende Pracht in Hülle und Fülle, das ist
die Signatur dieses Werkes, dessen Text ein Herr Regel
der Operndirektion in geheimnisvoller Weise übersendet
hat. Die Handlung selbst ist recht dürftig, sie dient
eigentlich blos zur Gelegenheitsmacherei für prächtige
Dekorationen und farbenschillernde Kostüme. Der junge
Otto, von Spielwuth erfasst, erbricht die Kasse seiner
schlafenden Großmutter, verbirgt scheu das Geld in seiner
Tasche und enteilt nach Entgegennahme des Segens
der ahnungslosen alten Frau nach dem Eldorado
seiner Wünsche. In Nizza angekommen, löst er die holde
Pelargie, ein Blumenmädchen, aus, das ihr Geliebter im
Würfeln soeben „verspielt" hat. Bei einem glänzenden
Blumenfest wird sie als Schönste der Schönen zur
Königin desselben erwählt, und Otto zappelt nun liebe-
girrend in ihren Netzen. Das zweite Bild führt in den
maurischen Spielsaal des neuen Kasino in Monte Carlo.
Nachdem um Mitternacht die aus aller Herren Ländern
bunt zusammengewürfelte Gesellschaft sich verlaufen,
wird Otto durch die Vision eines gierig im Golde wüh-
lenden Dämons erschreckt, doch gleich danach wieder
von dem lockenden Bild einer aus ihrem Füllhorn un-
messlichen Goldregen ausschiittenden, reizenden Glücks-
göttin bezaubert. Im Wintergarten gibt der frische
Glückspilz zu Ehren seines großen, schnell erworbenen
Freundeskreises einen glänzenden Maskenball, doch plötz-
lich dreht sich das Blatt. Otto hat in wenigen Stunden
seine ganze Habe am Spieltisch durchgebracht. Bettelarm
geworden, stürzt er mitten in's lustige Gewühl der
Menge, wird von Pelargie, die sich inzwischen einen
anderen Verehrer gekapert, schnöde abgewiesen und will
eben durch einen Schuss seinem verfehlten Leben ein
Ziel setzen, als die Großmutter erscheint und den Ver-
lorenen liebend in ihre Arme schließt. Diese glücklich
erfundene, beinahe moralische Handlung, die in grellen
Zügen eine scharfe Verwarnung vor dem Spielteufel
enthält, bot reichlich Anlass zu prächtigen Aufzügen, die
in buntem Wechsel einander ablösen. Herr Hass-
reiter hat ungeheueren Fleiß daran gesetzt, durch
sinnreich verschlungene Tanzgruppen die Aufmerksam-
keit zu fesseln. Eine Reihe funkelnder choreographi-
scher Leistungen wird da aufgerollt. Ein weibliches
Schützenkorps ercheint, eine französische Musikbande
zieht über die Bühne, neckische Kleine in silbern glän-
zender Gewandung hüpfen, roth- und schwarzgekleidete
leuchtende Nummern tanzen gleich flimmernden Irrlichtern,
ein ganzes Karten- und Tarokspiel, König, Bub und
Dame, Pagat, Mond, Sküs werden lebendig, die Napo-
leondorstücke machen ihren Reigen, und sogar eine
„Blumenschlacht" wird gekämpft. Brioschi bat sich eben-
falls rühmlich hervorgethan. Seine Promenade des Anglais
in Nizza ist so berückend schön gemalt, dass man sofort
aus dem Theater eilen möchte, um schnurstracks ein Eil-
zugsbillet dahin zu lösen. Herr Frappart als Otto ent-
faltete die ganze Beredsamkeit seines mimischen Talents,
Frau Abel als Fortuna und Pelargie die Anmuth ihrer
hübschen Erscheinung. Beinahe hätten wir vergessen
dass auch Musik zu dieser schimmernden Augenweide
den Takt schlägt. Sie enthält manch hübsche Stellen:
die Taubenjägerinnenpolka, einen den „Goldzauber"
einleitenden, echt wienerisch zügigen Walzer und
den Blumengalopp, aber jeglicher Originalität bar, lässt
sie kein eigentliches Interesse aufkommen. Man ist froh,
dass sie im Übrigen den Eindrucli des Schauwunders
nicht wesentlich stört.
Dr. Max Dietz.
223
der Ausstellung, die alle Erwartungen übertrifft. Es wird
ernstlicher Platzmangel befürchtet. Besonders zahlreich
sind die Anmeldungen aus Russland, Spanien, Amerika,
aber auch aus Österreich-Ungarn. Die Eröffnung der
Ausstellung durch den Kaiser und unter Anwesenheit
der Kaiserin Friedrich erfolgt bestimmt am 1. Mai.
Paris. Die Vorläufer der beiden großen „Salons"
bilden einige interessante Ausstellungen: die der „Gra-
veurs au burin" im Cercle de la Librairie; die wichtigere
der „Peintres-Graveurs", welche sich unter dem Vorsitz
von Bracquemond als Gesellschaft konstituirten, in der
Galerie Durand-Ruel mit über 400 Schöpfungen von
Bracquemond, Guerard, Besnard, Buhot, Carriere, Cheret,
Desboutin, Fantin-Latour, Gceneutte, Lepere, Morin,
Ribot, Riviere u. s. w.; und die wichtigste der Pastell-
maler in der Galerie George Petit, welche sehr viel des
Sehenswerthen enthält, wie „La Convalescente" von
Dagnan-Bouveret, „Coin de coulisse" von Forain, Bild-
nisse von J. Büraud und Gervex; auch Besnard, Duez
und viele Andere sind gut vertreten. Auch die Aus-
stellung der „Unabhängigen" im Pavillon der Stadt
neben dem Industrie-Palaste mag nicht unerwähnt
bleiben. Dieselbe bringt 1254 Bilder von 226 Künstlern
zur Ansicht; nicht viel, wenn man bedenkt, dass von
8000 beim Salon des Industrie-Palastes eingereichten
Werken 6400 zurückgewiesen wurden. Man sieht daraus,
dass es eine große Anzahl von Künstlern gibt, welche
es vorziehen, sich gar nicht zu zeigen, wenn man sie
im Salon verschmäht. Andererseits stellen wieder viele
Künstler bei den „Unabhängigen" aus, welche nicht im
Salon zurückgewiesen wurden, aber aus grundsätzlicher
Feindschaft gegen das System der Geschworenen dort
nicht einreichen. In der Ausstellung der „Unabhängigen"
bilden gewissermaßen eine Ausstellung für sich 64 Bilder
des verstorbenen Punktirmalers Dubois-Pillet, gewiss eine
Sehenswürdigkeit. Man sieht hier Werke von Serendat-
Belzim, Tenaille, dem verstorbenen Van Gogh; liebliche
Genre-Bilder von Ranft, welche auch dem Salon nicht
zur Unehre gereichten. Das „Spanische Stiergefecht"
von Pollak kann schon um seiner räumlichen Größe
willen nicht übersehen werden. c.
Rouge et Noir
betitelt sich die letzte Novität dieser Saison im Opern-
haus. Rascher Aufflug und jäher Sturz, prickelnder
Nervenreiz durch liederliche Liebschaften und waghalsiges
Spiel, Knallen der Pistolenschüsse an sich verzweifelnder
Selbstmörder und ringsum das muntere Gewoge einer
bacchantisch frohen, vergnügungslüsternen Menge, all das
spielt sich in effektvollen Bildern vor uns ab. Ein Stück
lebendiger Wirklichkeit, aus dem bewegten Treiben von
Monaco und Nizza herausgesebnitten, tollt sich da aus,
freilich mit allerhand feeriemäßigen Zuthaten vermengt,
ohne die nun einmal einem Ballet nicht auf die Beine
zu helfen ist. Mehr Spiel als Tanz, mehr Tanz als Musik,
aber augenblendende Pracht in Hülle und Fülle, das ist
die Signatur dieses Werkes, dessen Text ein Herr Regel
der Operndirektion in geheimnisvoller Weise übersendet
hat. Die Handlung selbst ist recht dürftig, sie dient
eigentlich blos zur Gelegenheitsmacherei für prächtige
Dekorationen und farbenschillernde Kostüme. Der junge
Otto, von Spielwuth erfasst, erbricht die Kasse seiner
schlafenden Großmutter, verbirgt scheu das Geld in seiner
Tasche und enteilt nach Entgegennahme des Segens
der ahnungslosen alten Frau nach dem Eldorado
seiner Wünsche. In Nizza angekommen, löst er die holde
Pelargie, ein Blumenmädchen, aus, das ihr Geliebter im
Würfeln soeben „verspielt" hat. Bei einem glänzenden
Blumenfest wird sie als Schönste der Schönen zur
Königin desselben erwählt, und Otto zappelt nun liebe-
girrend in ihren Netzen. Das zweite Bild führt in den
maurischen Spielsaal des neuen Kasino in Monte Carlo.
Nachdem um Mitternacht die aus aller Herren Ländern
bunt zusammengewürfelte Gesellschaft sich verlaufen,
wird Otto durch die Vision eines gierig im Golde wüh-
lenden Dämons erschreckt, doch gleich danach wieder
von dem lockenden Bild einer aus ihrem Füllhorn un-
messlichen Goldregen ausschiittenden, reizenden Glücks-
göttin bezaubert. Im Wintergarten gibt der frische
Glückspilz zu Ehren seines großen, schnell erworbenen
Freundeskreises einen glänzenden Maskenball, doch plötz-
lich dreht sich das Blatt. Otto hat in wenigen Stunden
seine ganze Habe am Spieltisch durchgebracht. Bettelarm
geworden, stürzt er mitten in's lustige Gewühl der
Menge, wird von Pelargie, die sich inzwischen einen
anderen Verehrer gekapert, schnöde abgewiesen und will
eben durch einen Schuss seinem verfehlten Leben ein
Ziel setzen, als die Großmutter erscheint und den Ver-
lorenen liebend in ihre Arme schließt. Diese glücklich
erfundene, beinahe moralische Handlung, die in grellen
Zügen eine scharfe Verwarnung vor dem Spielteufel
enthält, bot reichlich Anlass zu prächtigen Aufzügen, die
in buntem Wechsel einander ablösen. Herr Hass-
reiter hat ungeheueren Fleiß daran gesetzt, durch
sinnreich verschlungene Tanzgruppen die Aufmerksam-
keit zu fesseln. Eine Reihe funkelnder choreographi-
scher Leistungen wird da aufgerollt. Ein weibliches
Schützenkorps ercheint, eine französische Musikbande
zieht über die Bühne, neckische Kleine in silbern glän-
zender Gewandung hüpfen, roth- und schwarzgekleidete
leuchtende Nummern tanzen gleich flimmernden Irrlichtern,
ein ganzes Karten- und Tarokspiel, König, Bub und
Dame, Pagat, Mond, Sküs werden lebendig, die Napo-
leondorstücke machen ihren Reigen, und sogar eine
„Blumenschlacht" wird gekämpft. Brioschi bat sich eben-
falls rühmlich hervorgethan. Seine Promenade des Anglais
in Nizza ist so berückend schön gemalt, dass man sofort
aus dem Theater eilen möchte, um schnurstracks ein Eil-
zugsbillet dahin zu lösen. Herr Frappart als Otto ent-
faltete die ganze Beredsamkeit seines mimischen Talents,
Frau Abel als Fortuna und Pelargie die Anmuth ihrer
hübschen Erscheinung. Beinahe hätten wir vergessen
dass auch Musik zu dieser schimmernden Augenweide
den Takt schlägt. Sie enthält manch hübsche Stellen:
die Taubenjägerinnenpolka, einen den „Goldzauber"
einleitenden, echt wienerisch zügigen Walzer und
den Blumengalopp, aber jeglicher Originalität bar, lässt
sie kein eigentliches Interesse aufkommen. Man ist froh,
dass sie im Übrigen den Eindrucli des Schauwunders
nicht wesentlich stört.
Dr. Max Dietz.