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Heidelberg College [Hrsg.]
Alt-Heidelberg: Heidelberg College magazine — 1888

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Nr. 40 (30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.70377#0090
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aus Ebenholz geschnitzter Sarg, auf welchem der Deckel quer-
über gelegt ist. Ruhebänke und Fauteuils in Ueberfluß, ein
prachtvolles Bell aus Rosenholz mit feinsten Eiderdunen-Polstern.
Alles wird mit größter Diskretion behandelt. Eine reiche
Auswahl an Waffen aller Art, kein Lärm dringt durch die
mit vierfachen Matratzen belegten Mauern, an den Wänden
ringZumher ausgewählte Bücher von pessimistischen Autoren,
Telephonverbindung mit dem Bureau, damit man jeden Moment
bestellen könne, was man nur wünscht.
Der Besucher nimmt eine Pistole zur Hand und versucht sie.
— „Geben Sie Acht, mein Herr, sie ist geladen!"
So durchlebt der Besucher alle philanthropischen Phantasien
des Sir Hoboth. In den drei Erstickungszimmern, wo durch
einen leichten Druck alles so hermethisch verschlossen wird,
daß keine athmosphürische Luft eindringen kann, empfiehlt der
Direktor dem Besucher, er möge das Experiment ein wenig
versuchen. Aber weder das Lächgas, noch die in Riesenmassen
aufgehäusten Blumen vermögen diesen dazu zu verleiten, und
er bittet den Weg mit ihm fortzusetzen.
Die Willenskraft des Besuchers läßt sichtlich nach, der
Zauber des antiken letzten Bades berührt ihn nicht. Aber
er bleibt mit einiger Neugierde auf dem Corridor des dritten
Stockwerks stehen, wo über drei geschlossenen Thüren die
Worte zu lesen find: Für die Wissenschaft. Der Cicerone
will weitergehen, doch blickt er seinen Begleiter von der Seite
an: „Wär's hier möglich?" Doch man erwidert ihm voll
Bedauern, daß hier alles besetzt sei und — zur Ehre der
Menschheit sel's gesagt — das ist fast immer der Fall.
— „Was geschieht denn hier?"
— „Hier hat man Gelegenheit, sich zum Frommen der
Wissenschaft umzubringen. Die schönsten Fälle von Vivisektion
werden hier vorgenommen. Jüngst ließ sich ein junger Russe
eine halbe Hirnschale heraussägen und lebte noch volle drei
Stunden und fünfzig Minuten."
In dem Zimmer der Guillotine ist alles im Stil Lud-
wigs XVI. eingerichtet; wenn das scharfe Beil fällt, ertönt
Sphärenmusik, die Einen ins Jenseits hinübergeleitet. In
dem Gemach des Lachtodes wird man so lange gekitzelt, bis
man den Geist aufgibt, dann gibt es einen Saal, der durch
einen Fingerdruck sich in ein Seebad verwandelt, wo Tausende
Blutegel sich aus das Opfer stürzen und es in wenigen Minuten
aller Lebenskraft berauben. Eine Thür öffnet sich. Zuerst
kann man nichts unterscheiden. Dann erkennt man in der
grünlichen Luft die Umrisse nackter Mauern, einen weiten,
teeren, geräuschlosen Raum . . . Aber plötzlich tönt ein
Murmeln aus den Mauern. Man könnte es nur dem ent-
fernten Geräusch eines Gewitters oder dem hundertfach ver-
stärkten Meeresgeräusch vergleichen, das in gewissen Muscheln
noch fortlebt. Der Geschäftsführer nähert sich der Mauer und
berührt sie gleich einem Zauberer schnell an verschiedenen
Stellen. Alsbald verändert sich die gerade Linie der Mauer,
das Geräusch verdoppelt sich, es klingt wie das wirre Echo
von in den Wellen herumkrabbelnden lebenden Wesen — und
jetzt krabbeln sie wirklich in der, man möchte sagen, flüssig
gewordenen Mauer: Fische, Schalthiere, Mollusken, alle unter-
irdischen Wesen. Das ist das Meer! und auf dem dunkel-
grünen Grunde kommen immer näher, werden immer größer,
immer größer, kommen in das Zimmmer zu Dutzenden, zu
Hunderten, zu Tausenden, lange Fangarme, die in biutsaugenden
runden Mäulern enden ....
Der Besucher weicht zurück — im Geiste nämlich, denn
sein Körper ist keiner Bewegung fähig, und alles Lebensgefühl
in ihm concentrirt sich auf seinen Kopf, auf dem sich, wie er
zu fühlen glaubt, die Haare in die Höhe sträuben.
Hurrah für Sie Hobeth! ruft plötzlich der Wegweiser.
Ein lebender, nackter, zitternder, empfindlicher Körper von
Fleisch und Blut kann sich in diesem wasserlosen, aber um so
fürchterlicheren Meere den glänzendsten Genuß körperlichen

Leidens verschlagen. Können Sie sich die Wirkung des tödt-
lichen Ekels vor dem klebrigen, kribbelnden Kuß dieser unzähligen
Fühlfäden vorstellen, deren jeder mit der Kraft von tausend
Blutegeln versehen ist? Der ganze Körper ist in Blut, und
mit dem Blut entflieht das Leben durch die absonderlichsten
Ausgänge inmitten verpesteter Luft. Nach und nach wird
man schwach, die Augenlider schließen sich, die Kälte nimmt
zu: und nun ist das elektrische Thier, das sie für todt hält,
aus seinem Gewirr von Armen seinen Kopf los und schlägt
seine Zähne in ihre Brust, und niemand wird je erfahren,
ob Sie vor Angst oder vor Schmerzen gestorben sind....
Jetzt weicht der junge Mann zurück und eilt auf den
Corridor hinaus.
— „Also, welche Todesart haben Sie gewählt?" klingt
die Frage aufs neue.
— „Für die Wissenschaft!" erwiderte der junge Mann.
— „Bedaure, aber alles besetzt."
— „So will ich warten und ein andermal kommen!"
Sir Richard lächelt und wie er mit dem jungen Manne
beim Hotelbureau ankommt, überreicht er ihm die Rechnung,
ein Papierblättchen, mit Goldrändern, auf dem zu lesen
ist: „Herr X. schuldet Herrn Richard Hoboth: Die Liebe
zum Leben."

Gin Wort zur Frauenfrage.
Daß die Frau dem Erwerb gar nicht nachgehen soll,
wird heutzutage Niemand mehr behaupten wollen. Ein großer
Theil der Frauen findet leider keine Gelegenheit zur Begründung
eines eigenen Hausstandes und ist daher daraus angewiesen,
für den Unterhalt anderweitig Sorge zu tragen. Nun ist man
in den besseren Ständen vielfach von dem Vorurtheile befangen,
daß nur diejenigen Berufsarten als „standesgemäß" zu be-
trachten seien, zu denen ein über das gewöhnliche Maß hinaus-
gehender Bildungsgrad, also ein gewisses Studium, erforderlich
ist. Richtiger wäre es, die Mädchen mehr den kaufmännischen
Berufszweigen zuzuführen und aus ihnen nicht immer nur
Lehrerinnen und Gouvernanten zu machen, deren Zahl ohnehin
schon so übergroß ist, daß die Candidatinnen oft einer trostlosen
Zukunft entgegengehen. Und an dem Unglück dieser bedauerns-
werthen Mädchen sind nur zu oft deren Eltern schuld, die
aus falschem, übel angebrachtem Ehrgeiz ihren Kindern nicht
die richtige Erziehung geben. „Geld kann ich meiner Tochter
nicht mitgeben, so soll sie also wenigstens etwas Ordentliches
lernen, damit sie sich einmal selbst forthelfen kann." Solche
Aeußerungen bekommt man allenthalben zu hören, und da
kann es nicht genug der „Bildung" sein, die dem armen
Mädchen für theures Geld beigebracht wird. Ja, um alles
in der Welt, ist denn wirklich Bildung gleichbedeutend mit
einer gewissen Summe formalen Wissens? Wer die Mittel
dazu hat, dec mag seiner Tochter eine derartige Erziehung
geben, sofern er ihr auch in der Zukunft eine dementsprechende
gesellschaftliche Stellung als Frau verschaffen kann. Kann
er aber das nicht, dann wäre es klüger, das schöne Geld,
welches der übermäßige Unterricht kostet, für das Mädchen
zinstragend anzulegen. Mit den Jahren käme immerhin ein
erkleckliches Sümmchen zusammen, das für die Heiraths-Aus-
stattung ausreichen könnte. Die Tochter könnte vielleicht eine
leidliche Parthie machen und möglicher Weise sehr glücklich
werden, denn cs wird wohl Niemand bestreiten wollen, daß
ein Mädchen mit etwa 1000 Mark Vermögen weit leichter
einen Mann bekommt, als wenn sie gar nichts hat. Und
noch weniger dürfte es bezweifelt werden, daß der einzige Beruf
der Frau die Ehe ist.
Aber eine blos „leidliche" Parthie genügt der jungen
Dame mit viel „Bildung" nicht; sie ist zu stolz auf ihren
mühsam eingelernten Wissenskram und mit dem Loose, welches
ihr geboten wird, nicht zufrieden; sie wirft sich daher lieber
 
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