Geometrische Stiie in Griecheniand
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Methode der Begriffsbestimmung, wenn Wölfflin dem malerischen das
lineare Sehen gegenüberstellt. Da erhebt sich jedoch sofort die Frage,
ob diese Ergebnisse, gewonnen von historisch gegründetem Standpunkt
aus und gestützt auf Beobachtungen, die sich nur auf einen verhältnis-
mäßig kleinen Zeitraum kunstgeschichtlicher Entwicklung erstrecken,
wirklich Grundbegriffe im Sinne der Logik, d. h. Kategorien des künst-
lerischen Schauens sind, aus denen heraus sich alle seine Erscheinungs-
formen ableiten lassen. Sowohl von der Seite der reinen Logik wie auch,
wenn wir praktisch versuchen, sie über den frühesten Ausgangspunkt
Wölfflins nach rückwärts auch auf ältere Zeiten anzuwenden, muß ihnen
diese Eigenschaft abgestritten werden. Die Begriffe des Linearen und
Malerischen sind nur eine durch naturwissenschaftliche Methode erreichte
Klassifizierung derjenigen künstlerischen Ausdrucksformen, die
Wölfflins feingeschultes Auge an Werken des XVI. und XVH. Jahr-
hunderts zu entdecken vermochte. Aus ihnen läßt sich nichts ableiten,
sie geben auch keine Gewähr für die Vollständigkeit der von ihm gesam-
melten Phänomene. So sieht er sich denn auch gezwungen, sie als passive
Tatsachen zu verzeichnen und sie aus physiologisch-psychologischen
Veränderungen des Sehvorganges zu erklären. Mit der Möglichkeit einer
solchen Annahme mögen sich die betreffenden Spezialwissenschaften ab-
geben. Wenn wir jedoch, wie ich glaube in schärferer Fassung des künst-
lerischen Schöpfungsaktes, das Schauen des Künstlers in dem oben an-
gedeuteten Sinn der Vorstellungsformung als das eigentlich Entscheidende
ansehen i), so werden wir die wirklichen Grundbegriffe des Malerischen
und seines Gegensatzes in zwei verschieden gerichteten Tendenzen
des Kunstschaffens, in zwei diametral entgegengesetzten Formen des
Kunstwollens suchen, mag dieses nun durch völkische Eigenart, zeit-
geschichtliche Voraussetzungen oder durch die Persönlichkeit des ein-
zelnen Künstlers bestimmt sein. Nur auf diesem Weg erhalten wir uns
die Möglichkeit, die Formensprache der verschiedenen Zeiten, wie postu-
liert werden muß, aus der inneren Entwicklungsgeschichte der Kunst
heraus zu verstehen, ohne den entscheidenden Anstoß auf Nachbar-
gebiete zu verlegen.
p Vgi. die ausgezeichneten Bemerkungen von E. Panofsky, Zeitschrift
für Ästhetik und aügem. Kunstwissenschaft X 1915, 461 ff.
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Methode der Begriffsbestimmung, wenn Wölfflin dem malerischen das
lineare Sehen gegenüberstellt. Da erhebt sich jedoch sofort die Frage,
ob diese Ergebnisse, gewonnen von historisch gegründetem Standpunkt
aus und gestützt auf Beobachtungen, die sich nur auf einen verhältnis-
mäßig kleinen Zeitraum kunstgeschichtlicher Entwicklung erstrecken,
wirklich Grundbegriffe im Sinne der Logik, d. h. Kategorien des künst-
lerischen Schauens sind, aus denen heraus sich alle seine Erscheinungs-
formen ableiten lassen. Sowohl von der Seite der reinen Logik wie auch,
wenn wir praktisch versuchen, sie über den frühesten Ausgangspunkt
Wölfflins nach rückwärts auch auf ältere Zeiten anzuwenden, muß ihnen
diese Eigenschaft abgestritten werden. Die Begriffe des Linearen und
Malerischen sind nur eine durch naturwissenschaftliche Methode erreichte
Klassifizierung derjenigen künstlerischen Ausdrucksformen, die
Wölfflins feingeschultes Auge an Werken des XVI. und XVH. Jahr-
hunderts zu entdecken vermochte. Aus ihnen läßt sich nichts ableiten,
sie geben auch keine Gewähr für die Vollständigkeit der von ihm gesam-
melten Phänomene. So sieht er sich denn auch gezwungen, sie als passive
Tatsachen zu verzeichnen und sie aus physiologisch-psychologischen
Veränderungen des Sehvorganges zu erklären. Mit der Möglichkeit einer
solchen Annahme mögen sich die betreffenden Spezialwissenschaften ab-
geben. Wenn wir jedoch, wie ich glaube in schärferer Fassung des künst-
lerischen Schöpfungsaktes, das Schauen des Künstlers in dem oben an-
gedeuteten Sinn der Vorstellungsformung als das eigentlich Entscheidende
ansehen i), so werden wir die wirklichen Grundbegriffe des Malerischen
und seines Gegensatzes in zwei verschieden gerichteten Tendenzen
des Kunstschaffens, in zwei diametral entgegengesetzten Formen des
Kunstwollens suchen, mag dieses nun durch völkische Eigenart, zeit-
geschichtliche Voraussetzungen oder durch die Persönlichkeit des ein-
zelnen Künstlers bestimmt sein. Nur auf diesem Weg erhalten wir uns
die Möglichkeit, die Formensprache der verschiedenen Zeiten, wie postu-
liert werden muß, aus der inneren Entwicklungsgeschichte der Kunst
heraus zu verstehen, ohne den entscheidenden Anstoß auf Nachbar-
gebiete zu verlegen.
p Vgi. die ausgezeichneten Bemerkungen von E. Panofsky, Zeitschrift
für Ästhetik und aügem. Kunstwissenschaft X 1915, 461 ff.