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Die Zeichnung als künstlerischer Ausdruck.
Von Joseph Meder.*)
as dem Dichter gedankliche Notizen und Dispositionen,
Tagebücher und Briefe, das bedeuten dem Künstler in
weit höherem Maße Skizzen und Handzeichnungen. Le-
bendige Zeugen seiner innersten Natur, voll Intimität und
Persönlichkeit, von der momentanen Schaffenslust ge-
boren und nur für ihn bestimmt, enthüllen sie seine Seele
voll und ganz, während Gemälde, allerlei äußeren Umständen wie tech-
nischen Schwierigkeiten, Auftragsmodalitäten, der mitredenden Kritik
und dem Markte unterworfen, das Persönliche leicht umstellen. „Zeich-
nungen sind nur für den Künstler selbst da und allenfalls für diejenigen,
die er an seinem inneren Prozeß teilnehmen lassen will“ (Hans von
Marees).
All sein Tasten und Suchen, Ringen und Streben, der Natur in ihren
wundersamen Formen nahe zu kommen, das unermüdliche Umgestalten
kompositioneller Gedanken, Verwerfen und Neuaufgreifen, sein Auf-
steigen und Abfallen — kurz der stimmungsreiche Werdegang offenbart
sich in dem Studienmaterial eines zeichnerisch begabten Künstlers schär-
fer und lebendiger als in seinen andern Werken.
Selbst in den Urtagen bildete sie schon eine selbstherrliche Äußerung,
als der Kelte die Wand seiner Höhle mit Tierumrissen schmückte; denn
diese Versuche entsprangen nicht einem Bedürfnisse, sondern angeregter
Laune, dem unwiderstehlichen Drang des Nachahmungstriebes. Höhlen-
wohnung, Schutzhütte, Mauern und Dach verdankten ihr Entstehen der
Not, der simpelste Innenschmuck aber der Daseinsfreude und Gestal-
tungslust.
*
Der Reiz einer Zeichnung liegt zum nicht geringen Teil darin, daß sie,
ob als Darstellung einer Begebenheit oder als ein Ausschnitt aus dem
Reichtum der Natur, abgeklärt und befreit von allen hemmenden Vor-
stellungen des Entstehens zu uns spricht: als ein Stück geordneten und
gespannten Interesses aus dem Leben eines Künstlers. Auch Skulpturen
und Bilder wirken ähnlich; aber in den ersteren herrschen taktische, in
den letzteren farbige Zauber vor. In der Zeichnung hat das Wesen der
Linie allein auszukommen mit dem großen Komplex des Individuellen
und Allgemeinen, Zufälligen und Momentanen, Stofflichen, Farbigen
und Räumlichen. Sie hat alle Wesenseinheiten, Formbestandteile und
Formkennzeichen zu vermitteln. Sie kann die Körper nur umreißen und
mit Innenzeichnung versehen. Das Auslassen wird zur Forderung. In der
leichtfließenden Auswahl des Wesentlichen, das nicht allein den Schein
*) Auszüge aus einem Kapitel des großen Werkes: Joseph Meder, Die Hand^eichnung, ihre
Technik und Entwicklung. Zweite verbesserte Auflage 1923. Verlag von Anton Schroll & Co.
in Wien.


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