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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 39.1909(1910)

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Behlen, Heinrich: Die Steedener Höhle Wildscheuer
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https://doi.org/10.11588/diglit.70484#0353
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Die Steedener Höhle Wildscheuer. 347
komme, wie gesagt, noch auf die Altersbestimmung dieser Schichten zurück. —
Aus dem warmen Interglazial vor dem Rissglazial sind dagegen Menschen der
Homo sapiens-Rasse noch nicht bekannt geworden, wohl aber solche der Neander-
tal-Rasse (Krapina).
Wäre es daher nicht etwa angebracht anzunehmen, dass die Homo sapiens-
Rasse erst mit der kalten Zeit und mit dem arktoalpinkontinentalen Wild in
Mitteleuropa erschien und sich ausbreitete, also zur Rissglazialzeit, und dass
diese anderswo, etwa in Nordosteuropa und Nordasien am Steppen- und Tundra-
wild geübte, hochentwickelte paläolithische Jägerrasse die eingesessene neander-
taloide Waldfaunarasse verdrängte? Wäre das nicht in genauem Einvernehmen
mit Kiaatsch und Boule bei Besprechung der somatischen Reste der Neander-
taler Menschen und dem oben von mir gezogenen Schluss über aus der Rohheit
der Taubach-Stein- und Beinwerkzeuge gegenüber dem so wunderbar hoch-
entwickelten Werkzeug und dem, wie die Nephritperle von Steeden bezeugt,
schon so hochstehenden Kunstsinn und Steinverständnis der rissglazialen Menschen?
13. Die Höhlen von Mentone (Grimaldi) und ihre Analogien zu Steeden.
Ihre Zeitstellung und Wichtigkeit. Die zwei wichtigsten europäischen
Höhlenablagerungen, die unter den wenigen sind, die die Schichten der warmen
Fauna noch unter der kalten aufweisen und zugleich menschliche Werkzeugreste
bergen, sind die Kindergrotte und die sogenannte „Prinzengrotte“ von Mentone.
Erstere ist noch dadurch ausgezeichnet, dass sie auch somatische Reste, 5 Skelette
des Menschen barg, 3 davon ganz unten, unmittelbar über den Schichten mit
warmer Fauna. Die zweite dagegen hat den Vorzug, dass sie die Schichten
mit warmer Fauna in einer ganz ausnahmsweisen Mächtigkeit enthält, in noch
viel stärkerer Mächtigkeit, als die der kalten Zeit, dass sie also mit ihrem An-
fang in eine Zeit hinabtaucht, die sehr viel weiter liegt als alle Höhlen mit
nur kalter Fauna, oder auch als die Kindergrotte, in der die warme Fauna nur
schwach entwickelt ist, die also in einer viel späteren Zeit ihren Anfang nahm.
Wir haben also in beiden Höhlen die kalte Zeit vollständig vertreten, von ihrem
Anfang bis zum Ende (abgesehen von unbedeutenden neueren Abtragungen in
der Kindergrotte). Es fragt sich, können wir in den Schichten mit kalter Fauna
die drei Abschnitte dieser Zeit, das Rissglazial, das Risswürminterglazial (die
europäischen Homo sa/news-Rasse. Dieses Überleben selbst einer alten diluvialen Homo sapiens-
Varietät (Kiefer) bis heute, genau auf demselben Boden, hat ihr Gegenstück in dem von Neh ring
hervorgehobenen Überleben des schweren diluvialen Pferdes bis heute in dem gezähmten Pferd
auf demselben Boden in Deutschland; s. Nehring, Fossile Pferde aus deutschen Diluvial-
Ablagerungen und ihre Beziehungen zu den lebenden Pferden, ein Beitrag zur Geschichte des
Hauspferdes, Berlin 1884. Danach sind der heutige Mensch und das heutige, gezähmte schwere
deutsche Pferd grossartige, durch lange Zeiten herübergerettete Naturdenkmäler. Es tritt
dabei der seltsame Fall ein, dass diese Eiszeitrelikten entgegen den übrigen heute ein sehr
intensives und extensives Leben entfalten und beim gezähmten bodenständigen Diluvial-Pferd
der noch seltsamere Fall, dass dieses Naturdenkmal sich nur künstlich, lediglich durch Menschen-
einssuss herübergerettet hat, da es sonst als wildes, als Naturobjekt längst durch Menschen-
einssuss vertilgt worden wäre. Es entspricht diese Erkenntnis freilich nicht ganz den meist
angenommenen Wanderungen in jedem Differenzialbruchteil der Zeit,
 
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