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aussageschwachen Zonen eine bereichernde Wirkung er-
hoffte.
Grundsätzlich war man sich darüber einig, einer punktförmi-
gen Lichtquelle den Vorzug zu geben, um hinsichtlich der
Führung und Verteilung des Lichtes nach dem Muster der
früheren Kerzenbeleuchtung im Rahmen der historischen
Tradition bleiben zu können. So wurde ein Lichtträger aus
Glas gewählt, dessen Grundelement ein S-förmig geschwun-
gener, kerzentragender Arm ist, mit welchem Kronen, Appli-
ken und Kandelaber gebildet werden konnten (Abb. 141 -144).
Der Typus der Glasarmkrone wurde am Ende des 17. Jahr-
hunderts in Nordeuropa entwickelt und schon 1724 von Josef
Palme in Pärchen bei Steinschönau in Böhmen hergestellt
und in ganz Europa vertrieben. Von diesem Typus wurde in
der Folgezeit die gesamte Entwicklung der Glasarmkronen in
den europäischen Ländern beeinflußt. Die große Glasarm-
krone im Festsaal von Irsee ist eine von der Firma Christoph
Palme weiterentwickelte Form dieser Glaskronleuchter, wel-
che von dem Firmengründer Josef Palme im zweiten Viertel
des 18. Jahrhunderts in Böhmen hergestellt wurden (Abb.
145, 146). Der historische Grundtypus der Schaftkrone mit
Glasarmen und die handwerkliche Fertigung sind dieselben
geblieben, nur die formale Gestaltung ist gegenüber dem hi-
storischen Vorbild vereinfacht und geklärt worden. Der 150
kg schwere Kronleuchter mit 24 x 18 x 10 Armen wurde, wie
auch die Kandelaber im Haupttreppenhaus, dem Festsaal
und Kapitelsaal, speziell für Irsee gezeichnet und gefertigt.
Nicht nur der Typus, welcher dem zeitlichen Rahmen der Er-
bauungszeit des Klosters entspricht, sondern gerade auch
die handwerkliche Fertigung dürften der Grund dafür sein,
daß sich dieses Beleuchtungssystem ohne Bruch der histori-
schen Umgebung einzufügen vermag. Die handwerkliche
Fertigung ist heute noch dieselbe wie in früherer Zeit. Alle
Elemente des Schaftes sind mundgeblasen, jeder einzelne
Arm von Hand gezogen und gedreht. Dabei war das Einhal-
ten einer gleichmäßigen Armstärke besonders schwierig, da
die Arme hohl sind und der Durchlaß für das elektrische Ka-
bel auch in den Armbiegungen gewährleistet sein mußte. Die
Kompliziertheit dieses Vorganges kann vielleicht daran ge-
messen werden, daß zu Beginn der Arbeiten an dem Luster
manchmal nur zwei von 40 Armen, d. h. zwei Stück der ge-
samten Tagesproduktion eines Glasbläsers, verwendet wer-
den konnten. Die Leuchten des Festsaales wurden in weißem
Glas mit gedrehten Armen, die Beleuchtungskörper aller
übrigen Räume hingegen in Goldamber mit glatten Armen
ausgeführt.
Das aus der vereinfachten Glasarmkrone abgeleitete Be-
leuchtungssystem schien der spezifischen Situation in Irsee
in besonderem Maße gerecht zu werden. Die formale Gestal-
tung zeigt klare Einfachheit, dem transparenten Material ist
143 Konventgebäude. Achtarmiger Kronleuchter in den
Bettenzimmern.
144 Konventgebäude. Dreiarmige Applike in den
Kreuzgängen.
145 Originalgetreue Kopie einer Glasarmkrone von Josef
Palme (Mitte 18. Jh.).
146 Konventgebäude. Mehrstufige Glasarmkrone von
Christoph Palme im Festsaal von Irsee. Weiterentwicklung
der historischen Modelle.

zurückhaltende Festlichkeit, Leichtigkeit und Eleganz eigen.
Die Ausführung in Goldamber läßt die Formgebung des
Lichtträgers auch in unbeleuchtetem Zustand vor der weißen
Wand deutlich werden, ohne dabei die Gestalt markant her-
vorzuheben. Die aus einem Grundkonzept entwickelten Kro-
nen, Kandelaber und ein-, zwei-, drei- oder fünfarmigen
Appliken gewährleisteten die notwendige Einheitlichkeit für
das ganze Gebäude und boten gleichzeitig eine allen Raum-
situationen gerecht werdende Variabilität117).
Die Problematik bei der Wahl der Inneneinrichtung war eine
ähnliche wie beim Beleuchtungssystem. Von der ursprüngli-
chen Ausstattung war kein einziges Stück mehr erhalten. Hi-
storisches Mobiliar mußte bei der Neueinrichtung damit nicht
berücksichtigt werden, wohl aber die spürbare historische
Aussage des Denkmals selbst. Dies ist in der Leichenrede
von 1731 auf Abt Willibald Grindl, den Erbauer des Klosters,
sehr treffend zum Ausdruck gekommen: „Der Bau, wie ein je-
der sagen und bekennen muß, ist auf das allerklugiste ange-
ordnet, schön, ansehnlich und herrlich, doch nicht zu
prächtig, dann jederzeit Wilibaldus diser kluge Baumeister der
geistlichen Eingezogenheit wohl eingedenk wäre ..."118). Das
Gebäude hat als ehemaliges Benediktinerreichsstift einer-
seits einen unübersehbar repräsentativen Charakter, welcher
namentlich in der wandfesten Ausstattung (Stuck und Ge-
mälde) des Treppenhauses (Abb 148), des Kapitelsaales
(Abb. 147), der sogen. Prälatur (Abb. 149), des Festsaales
(Abb. 150) und des Vortragssaales auch heute noch ein-
drucksvoll zur Geltung kommt, andererseits mußte bei der
Einrichtung darauf geachtet werden, daß eine gewisse, dem
klösterlichen Charakter entsprechende Einfachheit gewahrt
wurde. Sie mußte einerseits dem Standard eines Hotels der
gehobenen Klasse entsprechen und hatte sich andererseits
dem historischen Charakter des Gebäudes in nicht störender
Weise einzufügen.
Von einer modernen Konzeption, gewissermaßen als Kon-
trastprogramm, wurde auch hier Abstand genommen, um ei-
nen bei solchen Lösungen stets spürbaren Bruch in der
Gesamtwirkung zu vermeiden. Eine historisierende Stilein-
richtung kam ebenfalls nicht in Betracht. Eine derartig mas-
siv wirkende, alle Räume bestimmende Imitation wäre zu
einer Dominante mit verfälschender und damit entwertender
Ausstrahlung auf das historische Gebäude geworden. So
wurde versucht, die Konzeption der Neueinrichtung nach
Leitgedanken auszurichten, welche aus dem vorgegebenen
Charakter des Baudenkmals entwickelt werden konnten:
1. Die Gesamtausstattung sollte mehr durch Zurückhaltung
als durch Aufwendigkeit geprägt sein.
2. Die Farbauswahl sollte sich an das vorhandene farbliche
Gesamtkonzept halten.
3. Die Auswahl der einzelnen Ausstattungsgegenstände
sollte sich in Eigenart, Material und Form im Rahmen des
im Barockzeitalter Möglichen halten.
4. Das Möbeldesign sollte sich an den Grundtypen barocken
Mobiliars orientieren, so wie etwa auch das Möbel des
Biedermeier in vielem nur eine vereinfachte und linear re-
duzierte Variante barocker Möbelformen ist.
Die letzte Forderung war nur zum Teil mit Angeboten aus
dem Handel zu realisieren, so daß für manche Möbelstücke
neue Konzeptionen notwendig waren. Vor allem sollten die
Räume durch Einzelmöbel in traditioneller Weise bestimmt

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