Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Marschner, Hannelore; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Contr.]
Glaskonservierung: historische Glasfenster und ihre Erhaltung; internationales Kolloquium, München und Nürnberg, 29./30. Oktober 1984 — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 32: München: Lipp, 1985

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/arbeitshefte_blfd_32/0101

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
mut) zur reichlichen Hälfte, das benachbarte Knorr-Fenster
(ebenfalls 1476 von Michael Wolgemut) bis zu zwei Drittel und
die Rosenverglasung von 1360 fast gänzlich. Im Jahre 1863 be-
richtet Hermann Kellner (1814-1877), daß «beinahe gar nichts
von dem außerordentlich schadhaften Alten verwendet werden
konnte und neu wird»; auf diese Weise wurde dann letztlich
auch die Rosenverglasung fast vollständig erneuert. Nur wenige
Fischblasen des inneren Engelskranzes gelangten später in das
Germanische Nationalmuseum. Von der gesamten Chorvergla-
sung hat sich nicht ein einziges ausgeschiedenes Originalstück
erhalten.
Gleiches gilt für die Restaurierungstätigkeit der Kellner in der
St. Sebalduskirche, deren Verglasung mit fast zur Hälfte ihres
Bestandes dezimiert wurde. Glimpflicher kamen die Frauenkir-
che in Nürnberg, die St. Jakobskirche in Rothenburg o.T. und
der Augsburger Dom weg.
Der unheilvolle Weg der Kellner ging dann über Ingolstadt
(Hans Wertinger 1527 und Hans von Kulmbach 1515) zum Ul-
mer Münster (Chorverglasung der Parler-Werkstatt 14. Jh. und
Besserer-Kapelle 1530) nach Überlingen, von wo aus das ganze
Bodenseegebiet bis in die Schweiz hinein daran glauben mußte.
Das skrupellose Vorgehen der Kellner bei Restaurierungsarbei-

Abb. 2. Nürnberg, St. Lorenz: Hostienmühlenfenster, um 1481, Evan-
gelist Johannes (sIV 2c); Kopf, Hostienkorb und oberster Teil des
Gewandes sind original; alles andere durch Kellner 1836 ergänzt.



Abb. 3. Nürnberg, St. Lorenz: Hostienmühlenfenster, um 1481, Evan-
gelist Matthäus; Teil des Gewandes original, alles andere komplett
1836 durch Kellner ergänzt. Man vergleiche den Qualitätsunterschied
mit Scheibe 2c des gleichen Fensters.

ten ist leider kein Sonderfall, sondern entspricht vielmehr der
allgemeinen Geisteshaltung des 19. Jahrhunderts. Trotzdem
fragt man sich ernsthaft, was die Kellner dazu bewogen hat, in
ihren Restaurierungseingriffen so weit zu gehen. Unseres Erach-
tens sind hier drei Hauptgründe verantwortlich:
1. persönlicher Ehrgeiz
2. finanzielle Interessen
3. Schaffung einer «mittelalterlichen Glasbank»
Zunächst einmal muß man sehen, daß die Kellner sich nicht als
Restauratoren, sondern als Künstler fühlten und es zum Teil
auch wirklich waren, wie viele ihrer Arbeiten ausweisen. Sie be-
tätigen sich vor allem als Graphiker, Tafel-Wand-Fassadenmaler
und Schriftsteller. Zu diesem Betätigungsfeld kam über die Por-
zellanmalerei vermittelt die Wiederentdeckung der Glasmalerei.
So wundert es nicht, daß man sich zunächst einmal mit den
Vorbildern der mittelalterlichen Glasmalerei auseinandersetzte
und bestrebt war, es diesen gleich zu tun; ja man war sogar
überzeugt, es wesentlich besser zu können als die «Alten». Die
umfangreich ausgeschiedenen Originalteile ließen sich außer-
dem gut wiederverwenden. Unbedeutendere Stücke benutzte
man als Flickteile (z.B. Frauenkirche Nürnberg), die wertvolle-
ren (Köpfe, Hände, Gewandteile, Rankengrund, Architektur-
stücke) fügte man zu sogenannten «Rahmen» zusammen und
brachte sie in den Kunsthandel (Abb. 4).

95
 
Annotationen