die hochsitzenden Brüste sind schwach entwickelt. Der Mund ist
gross und unschön gebildet mit dicken Lippen und aufgezogenen
Winkeln, das Kinn ist gespalten, die Nase kurz und breit. Die
grossen Augen mit schweren Lidern quellen über die Augenhöhle
vor und sind gegen die Nase schief gestellt: auf den hochgeschwun-
genen Augenbogen sind die Brauen durch eine eingerissene Bogen-
linie bezeichnet. Die grossen hochstehenden Ohren sind nur im
Contur angelegt und kleben flach am Kopf an. Ueber der kurzen
Stirn geht von Ohr zu Ohr eine breite Flechte, das übrige Haar
ist durch einen Mittelscheitel und zwei Seitenscheitel (nur auf der
h Kopfseite, auf der r. sind sie nicht angegeben) getheilt und durch
verschieden gelegte, in den einzelnen Abtheilungen parallele Striche
angedeutet. Die ganze Figur ist nach dem Gusse stark überar-
beitet: an den sorgfältig gearbeiteten Knieen, am Schooss, Nabel,
an den Fingern, an den Ohren, in den Haaren sieht man die Striche
des Ciselireisens, besonders aber das ganze Gesicht ist nachträglich
fertig gemacht, unter der Nase z. B. hat die Feile zu tief gegriffen.
Um den Hals ist eine Rinne eingegraben, vorne mit einer ovalen
Vertiefung, zur Aufnahme eines Halsbandes mit Medaillon.
Diese bemerkenswerthe, echt archaische Statuette kann man
als ein weibliches Gegenstück zu der Reihe männlicher Statuen be-
trachten, deren Hauptvertreter der Apollon von Tenea ist: sie macht
den Eindruck einer naiven Uebertragung des männlichen Kanon auf
den nackten weiblichen Körper. Die Körperverhältnisse stimmen
überein, nur dass hier der Kopf etwas grösser und der wohlge-
formte Hals kürzer ist: der weniger spitze Gesichtswinkel kommt
wohl auf Rechnung der Abarbeitung. Zu beachten ist noch hier
wie dort die Behandlung der Seiten des Körpers, welche der alten
Relieftechnik entspricht und ein sicheres Merkmal wahrhaft alter-
thümlicher Werke ist. Sie findet sich z. B. nicht an der archaisti-
schen Amazone in Wien (v. Sacken u. Kenner die Sammlungen des
k. k. Münz- und Antikencabinets in Wien n- 62) vor, deren Körper-
verhältnisse, bis auf den zu kleinen Kopf, sonst mit unserer Sta-
tuette übereinstimmen.
(Fortsetzung' folgt)
Graz W. GURLITT
gross und unschön gebildet mit dicken Lippen und aufgezogenen
Winkeln, das Kinn ist gespalten, die Nase kurz und breit. Die
grossen Augen mit schweren Lidern quellen über die Augenhöhle
vor und sind gegen die Nase schief gestellt: auf den hochgeschwun-
genen Augenbogen sind die Brauen durch eine eingerissene Bogen-
linie bezeichnet. Die grossen hochstehenden Ohren sind nur im
Contur angelegt und kleben flach am Kopf an. Ueber der kurzen
Stirn geht von Ohr zu Ohr eine breite Flechte, das übrige Haar
ist durch einen Mittelscheitel und zwei Seitenscheitel (nur auf der
h Kopfseite, auf der r. sind sie nicht angegeben) getheilt und durch
verschieden gelegte, in den einzelnen Abtheilungen parallele Striche
angedeutet. Die ganze Figur ist nach dem Gusse stark überar-
beitet: an den sorgfältig gearbeiteten Knieen, am Schooss, Nabel,
an den Fingern, an den Ohren, in den Haaren sieht man die Striche
des Ciselireisens, besonders aber das ganze Gesicht ist nachträglich
fertig gemacht, unter der Nase z. B. hat die Feile zu tief gegriffen.
Um den Hals ist eine Rinne eingegraben, vorne mit einer ovalen
Vertiefung, zur Aufnahme eines Halsbandes mit Medaillon.
Diese bemerkenswerthe, echt archaische Statuette kann man
als ein weibliches Gegenstück zu der Reihe männlicher Statuen be-
trachten, deren Hauptvertreter der Apollon von Tenea ist: sie macht
den Eindruck einer naiven Uebertragung des männlichen Kanon auf
den nackten weiblichen Körper. Die Körperverhältnisse stimmen
überein, nur dass hier der Kopf etwas grösser und der wohlge-
formte Hals kürzer ist: der weniger spitze Gesichtswinkel kommt
wohl auf Rechnung der Abarbeitung. Zu beachten ist noch hier
wie dort die Behandlung der Seiten des Körpers, welche der alten
Relieftechnik entspricht und ein sicheres Merkmal wahrhaft alter-
thümlicher Werke ist. Sie findet sich z. B. nicht an der archaisti-
schen Amazone in Wien (v. Sacken u. Kenner die Sammlungen des
k. k. Münz- und Antikencabinets in Wien n- 62) vor, deren Körper-
verhältnisse, bis auf den zu kleinen Kopf, sonst mit unserer Sta-
tuette übereinstimmen.
(Fortsetzung' folgt)
Graz W. GURLITT