sein der Kontinuität der vor kurzem abgeschwore-
nen Vergangenheit nie vollständig aus dem Unter-
richt.
Eine ausgesprochen steuernde Maßnahme, um
die Architekturentwicklung nicht aus der richtigen
Bahn gleiten zu lassen, war Zoltovskijs Eingriff in
den Wettbewerb für den Palast der Arbeit 1923. Es
sah danach aus, als würde der erste Preis an die Brü-
der Vesnin - mit einem absolut konstruktivistischen
Entwurf - gehen. Dank Zoltovskij wurde der erste
Preis jedoch an N. Trotzki vergeben, der ein Projekt
im Geiste der byzantinischen und altrussischen Bau-
kunst vorgeschlagen hatte.
In den ersten Jahren nach der Revolution gab
es nur wenige große Aufträge zu verteilen. Der be-
deutendste war wahrscheinlich das Projekt für die
Landwirtschaftsausstellung in Moskau 1923. Sie war
ein Ereignis nicht ohne politische Bedeutung, die die
neue Agrarpolitik unterstützen sollte. Für das städ-
tebauliche Konzept wurde ein beschränkter Wettbe-
werb ausgeschrieben, den Žoltovskij gewann. Auf
diese Weise erhielt er die Leitung des Teams für den
Aufbau der Ausstellung. Das städtebauliche Konzept,
das Torgebäude und einige Pavillions entstanden
unter seiner Hand. Der Hauptarchitekt der Ausstel-
lung war Ščusev; von den anderen “alten Meister”
hatten sich Sechtel und Ščuko beteiligt. Zoltovskijs
Entwurf für das Ausstellungsgelände ist eine Kom-
bination aus klassizistischer, axialer Ordnung und
einer malerischen Landschaftskomposition. Der mit-
tlere Teil mit dem großen Innenhof und dem dahin-
terliegenden Grün wird durch die Hauptachse be-
herrscht. Die wichtigsten Pavillons sind daran mittels
Nebenachsen angeordnet. Eine Reihe von Abwei-
chungen von dieser streng-axialen Ordnung sorgt
jedoch für eine gewisse Auflockerung und nimmt
dem Konzept somit die akademische Starrheit.
Die Architektur der Pavillions war durchgehend
klassizistisch. Nur wenige (Melnikov, Gladkov) wi-
chen deutlich davon ab. Aber die Gebäude, die als
Folge des Materialmangels meist aus Holz, Leinen
und Gips errichtet wurden, hinterlassen keinen allzu
akademischen Eindruck. So ist z.B. das Torgebäude
von Zoltovskij bei dem Haupteingang sichtbar von
einem kaiserlich-römischen Triumphbogen abgelei-
tet. Durch die Ausführung in einer “nackten” Kon-
struktion - ein transparentes Gefüge aus hölzernen
3. I. V Žoltovskij: Haus Tarasov, Moskau 1909-1910
Brettern - atmet es jedoch den Pioniergeist der er-
sten Jahre der Sowjetregierung. Möglicherweise kann
man dies jedoch auch mit den hölzernen Lauben aus
den Gärten des 18. Jahrhunderts in Verbindung brin-
gen - bei Zoltovskij weiß man das nie! Nichtsdesto-
weniger ist es eine Tatsache, daß diese Ausstellung
in ihrem städtebaulichen und architektonischenAuf-
bau durch die Auffassungen der vorrevolutionären
Architekten bestimmt wurde.
Am 21. Januar 1924 stirbt Lenin. Einen Tag
später beauftragte die inzwischen gebildete Trauer-
feierkommission Ščusev mit dem Entwurf für ein
provisorisches Grab. Ščusev entwarf eine vierstufi-
ge hölzerne Treppenpyramide, die in ihrer Einfach-
heit an die Kompositionen von Malevič erinnert, sich
in ihrer Konzeption jedoch durchaus davon unter-
scheidet - Ščusev ging von einen alten Grabmalty-
pus aus. Dies wurde sichtbarer, als er im Mai des
selben Jahres den Auftrag für ein semi-permanentes
Lenin-Mausoleum erhielt. Sein Entwurf basierte auf
der antiken Grabmaltypologie: ein rechteckiges stu-
fenartiges Volumen, mit Tholos bekrönt. 1929, als
die Entscheidung für ein definitives Mausoleum fiel,
wurde wiederum Ščusev mit einem Entwurf beauf-
tragt.8 Lenins Grabmal kann ohne Zweifel als die
ideologisch-wichtigste architektonische Aufgabe in
174
nen Vergangenheit nie vollständig aus dem Unter-
richt.
Eine ausgesprochen steuernde Maßnahme, um
die Architekturentwicklung nicht aus der richtigen
Bahn gleiten zu lassen, war Zoltovskijs Eingriff in
den Wettbewerb für den Palast der Arbeit 1923. Es
sah danach aus, als würde der erste Preis an die Brü-
der Vesnin - mit einem absolut konstruktivistischen
Entwurf - gehen. Dank Zoltovskij wurde der erste
Preis jedoch an N. Trotzki vergeben, der ein Projekt
im Geiste der byzantinischen und altrussischen Bau-
kunst vorgeschlagen hatte.
In den ersten Jahren nach der Revolution gab
es nur wenige große Aufträge zu verteilen. Der be-
deutendste war wahrscheinlich das Projekt für die
Landwirtschaftsausstellung in Moskau 1923. Sie war
ein Ereignis nicht ohne politische Bedeutung, die die
neue Agrarpolitik unterstützen sollte. Für das städ-
tebauliche Konzept wurde ein beschränkter Wettbe-
werb ausgeschrieben, den Žoltovskij gewann. Auf
diese Weise erhielt er die Leitung des Teams für den
Aufbau der Ausstellung. Das städtebauliche Konzept,
das Torgebäude und einige Pavillions entstanden
unter seiner Hand. Der Hauptarchitekt der Ausstel-
lung war Ščusev; von den anderen “alten Meister”
hatten sich Sechtel und Ščuko beteiligt. Zoltovskijs
Entwurf für das Ausstellungsgelände ist eine Kom-
bination aus klassizistischer, axialer Ordnung und
einer malerischen Landschaftskomposition. Der mit-
tlere Teil mit dem großen Innenhof und dem dahin-
terliegenden Grün wird durch die Hauptachse be-
herrscht. Die wichtigsten Pavillons sind daran mittels
Nebenachsen angeordnet. Eine Reihe von Abwei-
chungen von dieser streng-axialen Ordnung sorgt
jedoch für eine gewisse Auflockerung und nimmt
dem Konzept somit die akademische Starrheit.
Die Architektur der Pavillions war durchgehend
klassizistisch. Nur wenige (Melnikov, Gladkov) wi-
chen deutlich davon ab. Aber die Gebäude, die als
Folge des Materialmangels meist aus Holz, Leinen
und Gips errichtet wurden, hinterlassen keinen allzu
akademischen Eindruck. So ist z.B. das Torgebäude
von Zoltovskij bei dem Haupteingang sichtbar von
einem kaiserlich-römischen Triumphbogen abgelei-
tet. Durch die Ausführung in einer “nackten” Kon-
struktion - ein transparentes Gefüge aus hölzernen
3. I. V Žoltovskij: Haus Tarasov, Moskau 1909-1910
Brettern - atmet es jedoch den Pioniergeist der er-
sten Jahre der Sowjetregierung. Möglicherweise kann
man dies jedoch auch mit den hölzernen Lauben aus
den Gärten des 18. Jahrhunderts in Verbindung brin-
gen - bei Zoltovskij weiß man das nie! Nichtsdesto-
weniger ist es eine Tatsache, daß diese Ausstellung
in ihrem städtebaulichen und architektonischenAuf-
bau durch die Auffassungen der vorrevolutionären
Architekten bestimmt wurde.
Am 21. Januar 1924 stirbt Lenin. Einen Tag
später beauftragte die inzwischen gebildete Trauer-
feierkommission Ščusev mit dem Entwurf für ein
provisorisches Grab. Ščusev entwarf eine vierstufi-
ge hölzerne Treppenpyramide, die in ihrer Einfach-
heit an die Kompositionen von Malevič erinnert, sich
in ihrer Konzeption jedoch durchaus davon unter-
scheidet - Ščusev ging von einen alten Grabmalty-
pus aus. Dies wurde sichtbarer, als er im Mai des
selben Jahres den Auftrag für ein semi-permanentes
Lenin-Mausoleum erhielt. Sein Entwurf basierte auf
der antiken Grabmaltypologie: ein rechteckiges stu-
fenartiges Volumen, mit Tholos bekrönt. 1929, als
die Entscheidung für ein definitives Mausoleum fiel,
wurde wiederum Ščusev mit einem Entwurf beauf-
tragt.8 Lenins Grabmal kann ohne Zweifel als die
ideologisch-wichtigste architektonische Aufgabe in
174