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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 1993

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II. Utopias and Revivals
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Máčel, Otakar: Rußland - vom vorrevolutionären Klassizismus zum sozialistischen Realismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.51723#0183

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2. A. V. Ščusev: Lenin Mausoleum, definitive Version, Moskau
1929-1930

sev an der Architekturfakultät jeweils einAtelier. Eine
dritte Aufgabe erhielt Žoltovskij an der Abteilung
für Bildende Kunst (IZO) des Kulturministeriums.
Er wurde Leiter der Moskauer Unterabteilung Ar-
chitektur. Aber an diesem durch Lunačarskij geschaf-
fenen Institut waren die meisten Stellen durch Avant-
gardisten besetzt, die wenig mit dem renomierten,
akademischen Architekten gemein hatten. Die Rei-
bungen blieben dann auch nicht aus, und der Minis-
ter griff ein: 1919 wurde eine selbständige Architek-
turabteilung eingerichtet mit Žoltovskij an der
Spitze.5 Dort wurden unter anderem die Bauprogram-
me und Wettbewerbe, die von der zentralen Behörde
entwickelt wurden, bearbeitet. Auf diese Weise wur-
de Žoltovskij für kurze Zeit (bis 1923) eine Art Kon-
trolleur der Architektur im neuen Sowjetstaat, ohne
sich eigentlich besonders politisch zu engagieren. Er
folgte vor allem seinen eigenen Architekturauffas-
sungen, die einen vorrevolutionären Ursprung hatten.
Auch Ščusev hatte derzeit eine bedeutende Po-
sition erworben. Er wurde 1922 zum Vorsitzenden

des Moskauer Architektenvereines (MAO - Moskovs-
koje Architekturnoje Obščestvo) ernannt, der - si-
cher seit dem Regierungswechsel von Petersburg
nach Moskau - der einflussreichste im Land war.6
Es stellt sich die Frage, wie dies möglich war.
Revolutionäres Engagement ist von beiden Architek-
ten nicht bekannt. Wenn dies der Fall gewesen wäre,
darf man annehmen, daß Žoltovskij und Ščusev in
ihren späteren Schriften darüber berichtet hätten,
ebenso wie ihre Biographen aus der fünfziger Jah-
ren. Der Grund für die Kontinuität ihrer Karriere (und
zahlreicher anderer Kollegen) ist eher in der Haltung
der Partei und der Behörden zu suchen. So sah der
Bildungsminister Lunačarskij die linke Avantgarde
in der bildenden Kunst derzeit als politisch-Verbün-
deten, aber keineswegs als Träger der neuen Kunst
der zukünftigen klassenlosen Gesellschaft. Hin-
sichtlich der Architektur war seine Meinung aus-
geprägter: der vorrevolutionäre Klassizismus war die
richtige Architekturauffassung, die die besten künst-
lerischen Traditionen in sich trug und dadurch für
die Repräsentation der neuen Gesellschaft durchaus
geeignet war.
Die Kulturmaßnahmen der bolschevistischen
Regierung waren nicht - wie es der Avantgarde vor-
schwebte - auf einen Bruch mit der Vergangenheit
gerichtet, sondern betonten eher die Kontinuität “der
besten künstlerischen Traditionen”, die mit dem
neuen Inhalt der klassenlosen Gesellschaft ver-
schmelzen sollten. Als Vorbild könnte man das Denk-
malpflege-Gesetz, oder das Eingreifen von Lenin
gegen den Prolet-Kult nennen. Von dieser Seite hatten
Žoltovskij, Ščusev und ihre Kollegen wenig zu be-
fürchten: man liess ihnen ihre Handlungsfreiheit -
so lange sie sich nicht in die Politik einmischten, was
sie auch nicht taten.
Die praktische Auswirkung 1920-1924
Nach der zweiten Reform der Kunstschulen
1920 entstanden die VChUTEMAS, und in einer der
drei Ateliergruppen lebte die akademische Tradition
unter Leitung von Žoltovskij fort. Seine Mitarbeiter
waren u.a. Ščusev, Kokorin, Norvert, aber auch Leo-
nid Vesnin.7 Obwohl der Einfluß dieses Ateliers auf
die Studenten zunehmend kleiner wurde, verschwand
die traditionalistische Architektur und das Bewußt-

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