16. Marburg, Elisabethkirche, frühgotisches Standfigurenfenster Chor
nord II, um 1290. Foto: Autor.
17. Straßburg, Münster, Johannes der Täufer undJohannes der Evange-
list, zweites nördliches Querhausfenster (Baie 104), ehemals Johanneska-
pelle, um 1190/1200. Foto: Corpus Vitrearum Freiburg im Breisgau.
menformen; 2) hinsichtlich der Rolle von Farbe und
Ornament und 3) im Hinblick auf das Armierungs-
system: Kommen wir zuerst zur
1. Rahmenform
Ganz offensichtlich war es also die über Generatio-
nen gepflegte Sensibilität für die tektonischen Zu-
sammenhänge von Figur und Architekturrahmen, die
die Glasmalereiwerkstatt für eine Architektonisierung
ihrer Produkte im Sinne der Bauhütte zugänglich
machte.9
Um diese These zu untermauern, müssen wir jetzt
die Marburger Standfiguren einer näheren Betrach-
tung unterziehen. Nämlich 1) hinsichtlich der Rah-
Die Standfiguren befinden sich unter Säulenarka-
den aus runden bzw. genasten Arkadenbögen, die
reiche Architekturbekrönungen tragen [Abb. 20a-c}.
Es handelt sich dabei nicht um villes sur arcatures aus
beliebig zusammengestellten Einzelgliedern oder zu
einfachen Würdeformeln degenerierten Abbreviatu-
ren von Bautypen, sondern um kompakte und ver-
gleichsweise klar definierte Zentralbauten, die unter
Zuhilfenahme der traditionellen perspektivischen Ge-
9 Es ist bezeichnend, wenn in dieser stilistischen Umbruchpha-
se eine hiervon abhängige Werkstatt kurz darauf Standfigu-
ren für die rundbogigen Fensteröffnungen im romanischen
Querhaus des Freiburger Münsters liefert, sie jedoch noch mit
romanischen Architekturbaldachinen bekrönt. Dies geschah
nicht etwa, weil an der Peripherie traditionelle Formen länger
bewahrt wurden, sondern vielmehr aus Mangel an verfügba-
rer Gestaltungsfläche. Diese künstlerische Flexibilität bezeu-
gt einmal mehr die Sensibilität der Werkstatt für architekto-
nische Maß- und Formvorgaben, die für die gattungsüber-
greifende Vereinheitlichung des gotischen Sakralbaus notwen-
dig war.
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