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ISABELLA WOLDT
Die Voraussetzung einer Parallelitat zwischen der Betrachtung des
Schonen in der Natur und des Schonen in der Natur des Menschen durch
die Kunstwerke bildet fur Shaftesbury die Basis fur die Ausfuhrungen
tiber die Ktinste. Er stellt sich hier die Aufgabe, die Moralitat mit den ge-
staltenden Kiinsten zu verflechten24. Dies sollte in den Second Charac-
ters realisiert werden, wobei er hoffte - in Anbetracht der wesentlichen
Aufgabe der Kunst und der ihr zugesprochenen prinzipiellen Rolle in der
Entfaltung des Menschen25 den Gegenstand seiner Aufgabe, die
Ktinste, in einer anspruchsvolleren Form darzustellen, ais dies bislang in
der Welt geschehen war26.
Die Klarung des Verhaltnisses zur Kunst ist wichtig, denn erst dann
wird deutlich, daB Shaftesburys Werk nicht in zwei Teile zerfallt und er
selbst nicht in die Reihe der Dilettanti gehort. Sein Werk erweist sich ais
hochst konseąuent. Shaftesbury trennt namlich nicht zwischen vita
activa und vita contemplativa, sondern behandelt sie immer - ganz in
der Tradition der Stoa - ais eine Einheit. In seinen Augen erganzen sich
die praktische und die theoretische Arbeit in und fur die Gesellschaft
und die kiinstlerische Tatigkeit gegenseitig27.
Bei seinem Umgang mit der Kunst und den Kunstlern muB jedoch
zwischen seinem Bezug zu den zeitgenbssischen Meistern, mit denen er
direkt zusammenarbeitete, und seiner kritischen Auffassung gegeniiber
den antiken und den modernen28 Kunstlern und dereń Arbeit, die er an
seiner allgemeinen Kunsttheorie gemessen hat, unterschieden werden.
Beide Betrachtungsebenen sind jedoch nicht streng voneinander zu
trennen, im Gegenteil, Shaftesburys Kunsttheorie, in der die Idee des
Kiinstlers formuliert ist, erlaubt es, die unklare Auffassung der For-
schung hinsichtlich seines Verhaltnisses zu den Kunstlern, mit denen er
zusammenarbeitete, zu korrigieren.
IDEE DES KUNSTLERS
Obwohl Shaftesbury sich bereits in den Abhandlungen der Charac-
teristicks haufiger tiber den Ktinstler geauBert hatte, plante er fur die
Second Characters eine umfassende Darstellung seiner Idee des Kiinst-
lers, von dessen Geschmack und Urteilskraft, Ausbildung und verschie-
denen „Arten”. Die Aufzeichnungen sind bruchstiickhaft. Eine Rekon-
24 SE, 1,5, S. 166.
2,J Vgl. unten Idee des Kiinstlers.
26 SE, 1,5, S. 170.
27 Vgl. Characteristicks, III: Letter concerning Design, S. 395 ff.
28 Ais „modern” bezeichnet Shaftesbury die Kunst seit der Renaissance.
ISABELLA WOLDT
Die Voraussetzung einer Parallelitat zwischen der Betrachtung des
Schonen in der Natur und des Schonen in der Natur des Menschen durch
die Kunstwerke bildet fur Shaftesbury die Basis fur die Ausfuhrungen
tiber die Ktinste. Er stellt sich hier die Aufgabe, die Moralitat mit den ge-
staltenden Kiinsten zu verflechten24. Dies sollte in den Second Charac-
ters realisiert werden, wobei er hoffte - in Anbetracht der wesentlichen
Aufgabe der Kunst und der ihr zugesprochenen prinzipiellen Rolle in der
Entfaltung des Menschen25 den Gegenstand seiner Aufgabe, die
Ktinste, in einer anspruchsvolleren Form darzustellen, ais dies bislang in
der Welt geschehen war26.
Die Klarung des Verhaltnisses zur Kunst ist wichtig, denn erst dann
wird deutlich, daB Shaftesburys Werk nicht in zwei Teile zerfallt und er
selbst nicht in die Reihe der Dilettanti gehort. Sein Werk erweist sich ais
hochst konseąuent. Shaftesbury trennt namlich nicht zwischen vita
activa und vita contemplativa, sondern behandelt sie immer - ganz in
der Tradition der Stoa - ais eine Einheit. In seinen Augen erganzen sich
die praktische und die theoretische Arbeit in und fur die Gesellschaft
und die kiinstlerische Tatigkeit gegenseitig27.
Bei seinem Umgang mit der Kunst und den Kunstlern muB jedoch
zwischen seinem Bezug zu den zeitgenbssischen Meistern, mit denen er
direkt zusammenarbeitete, und seiner kritischen Auffassung gegeniiber
den antiken und den modernen28 Kunstlern und dereń Arbeit, die er an
seiner allgemeinen Kunsttheorie gemessen hat, unterschieden werden.
Beide Betrachtungsebenen sind jedoch nicht streng voneinander zu
trennen, im Gegenteil, Shaftesburys Kunsttheorie, in der die Idee des
Kiinstlers formuliert ist, erlaubt es, die unklare Auffassung der For-
schung hinsichtlich seines Verhaltnisses zu den Kunstlern, mit denen er
zusammenarbeitete, zu korrigieren.
IDEE DES KUNSTLERS
Obwohl Shaftesbury sich bereits in den Abhandlungen der Charac-
teristicks haufiger tiber den Ktinstler geauBert hatte, plante er fur die
Second Characters eine umfassende Darstellung seiner Idee des Kiinst-
lers, von dessen Geschmack und Urteilskraft, Ausbildung und verschie-
denen „Arten”. Die Aufzeichnungen sind bruchstiickhaft. Eine Rekon-
24 SE, 1,5, S. 166.
2,J Vgl. unten Idee des Kiinstlers.
26 SE, 1,5, S. 170.
27 Vgl. Characteristicks, III: Letter concerning Design, S. 395 ff.
28 Ais „modern” bezeichnet Shaftesbury die Kunst seit der Renaissance.