Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Frobenius, Leo [Hrsg.]; Ritter von Wilm, Ludwig [Hrsg.]; Forschungsinstitut für Kulturmorphologie [Mitarb.]
Atlas africanus: Belege zur Morphologie der afrikanischen Kulturen: [Text] — München: Beck, 1929

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.63130#0007
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EINFÜHRUNG
I. Als das Forschungsinstitut für Kulturmorphologie als erste größere gemeinsame Arbeit die Heraus-
gabe des Atlas Africanus, das soll heißen eines das Wesen der Kultur eines ganzen Erdteiles symbolisch
darstellenden Kartenwerkes, beschloß, mußten seine Leiter sich vollkommen bewußt sein, daß dieses nach
allen Seiten des geistigen Lebens in Berührung stehende Unternehmen eine Stellungnahme zu den Grund-
problemen der Kultur und aller die Kultur betreffenden. Fachwissenschaften voraussetzt. Denn ebensogut
wie nur eine Menschheit, gibt es auch nm1 eine Kultur (wenn auch viele Kulturformen), und ein derartig
umfassendes Werk wie das Unsrige muß zumal als Erstes für alle Kulturformen gleichbedeutsam Aufschluß
geben, ob es nun Amerika, Asien, Europa oder Afrika zum Ausgangspunkt wählt.
Dazu, daß bei diesen Arbeiten mit allen Disziplinen, — mit Rechtslehre ebenso wie mit Naturwissenschaft,
mit Religionswissenschaft ebenso wie mit Philologie zu rechnen war, kam, daß ein Werk wie dieses, ein
erstes auf seinem Boden, an sich schon allen Irrtümern und Mißverständnissen ausgesetzt, auf der Scheide
zweier Epochen, nennen wir sie Jahrhunderte, ins Leben treten will.
Ein tieferes Schauen der Zukunft wird lehren, daß die im Jahre 1914 eintretende Katastrophen-
kette eine Kulturerschütterung bedeutet, die für Altes einen Abschluß, für Älteres ein Wiederaufleben,
für alles Kulturleben aber eben eine Scheide bedeutet, die sich heute schon in Sorgen um das Wanken
der Autorität vergangener Tage und in kraftvollem Aufkeimen ins Bewußtsein tretenden jungen Lebens
kundtut. Das Geistesleben Deutschlands hat das traditionelle Gleichmaß der Kräfte eingebüßt. An die Stelle
des biederen Kampfes zwischen staatlich gebundener Kasten- und zunftmäßiger Geistesrichtung einerseits
und frei, meistens oppositionell sich auswirkenden Außenseitertums andererseits, beginnt der gesunde Gegensatz
alter und neuer Weltanschauung zu treten. Im Sinne unserer Arbeiten und Ausdrucksweise war das vorige
Jahrhundert bedingt durch System, wird das kommende ausgezeichnet sein durch Intuition.
Das Hervorwachsen aus solcher Scheidezeit mußte Veranlassung geben zu besonderer Vertiefung in
den Sinn und die Bedeutung geschaffener, herrschender und versunkener Anschauungen. Die gar nicht
hoch genug zu spannende' Achtung vor den technisch-geistigen Riesenleistungen und Exzentritäten des
vorigen Jahrhunderts durfte uns nicht verschließen gegen die Erkenntnis seiner materialistischen Einseitigkeit
und die technische, auch technisch geistige Stümperhaftigkeit vergangener Kulturepochen. Wir durften das
Problem der Kultur und die Probleme der Kulturformen nicht auffassen mit irgend einer von diesen Be-
schränktheiten. Das vorige Jahrhundert konnte in unserem Sinne zu viel und vermochte zu wenig. Die
früheren Zeiten der Imagination vermochten zwar alles, konnten aber zu wenig.
Solches mußte füglich nicht nur uns klar und durchsichtig werden. Auch die „Leser“ unseres Atlas
werden in den nächsten Abschnitten mit unseren Anschauungen und mit den entsprechenden Leitgedanken
dieser deutschen Arbeit bekannt gemacht werden müssen.
Denn auch dies ist eine vom Standpunkt der Kulturkunde aus bedeutsame und charakteristische
Tatsache: Diese ganze Arbeit ist eine Deutsche. Deutsch waren die ersten Versuche auf dem Gebiete
solchen Strebens, deutsch waren die späteren Ausarbeitungen, — wie es ja auch dem deutschen
Schicksale entspricht, daß dieser Atlas Africanus gerade in dem Zeitpunkte das Licht der Welt erblickt,
in welchem das deutsche Geistesleben ortsmäßig aus dem Erdteil ausgewiesen ist. Das ist für das Wesen
dieser Arbeit in hohem Sinne jenseits allen, aus hamitischen Quellen entsprungenen, engherzigen Nationalismus
bedeutsam. Die Westvölker hätten dieses Werk vielleicht versucht, nachdem sie den Weltteil erobert
hatten, und es wäre dann ein staatlich reich dotiertes Sammelwerk entstanden; die mitteleuropäische Kultur
bedingte den Beginn der Arbeit nach dem Verluste aus bescheidensten Verhältnissen opferfreudiger Not
und schafft ein intuitives Werk.
Die Erkenntnis solcher Gegensätze, die eine Betrachtung der eigenen Kultur und der eigenen Arbeit
über Kultur eröffnet, leitet in würdiger Weise den Weg zur Erschließung der Kultur jener Primitiven
die bleich differenziertes Wesen dokumentieren, ein.
O
 
Annotationen