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Aubert, Andreas; Kern, Guido Josef [Hrsg.]; Friedrich, Caspar David [Ill.]
Caspar David Friedrich, "Gott, Freiheit, Vaterland" — Berlin: Cassirer, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.62657#0015
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im vierten Band von Brentanos gesammelten Schriften unter falscher Jahreszahl aus-
genommen.)
Kleist hatte als Redakteur von seinem Recht, ihn zu kürzen, Gebrauch gemacht; durch
seine Umarbeitung aber hatte das Ganze einen völlig neuen Sinn mit einem bestimmt aus-
gesprochenen Urteil bekommen. Und er schließt seine Erklärung mit den Worten: nur
der Buchstabe desselben gehört den genannten beiden Herrn; der Geist aber und die Ver-
antwortlichkeit dafür, so wie er jetzt abgefaßt ist, mir."
Kleist hebt das Unergründliche in Friedrichs Seebild teilweise mit Brentanos Worten
hervor: „es liegt mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen wie die Apokalypse
da ..Doch wir merken gleich Kleists Adlerkralle: die einfache Kompositionsart des Bildes
weicht in dem Maße von dem überlieferten Schema mit der kulissenartigen Inszenierung ab,
daß selbst Kleist davor zurückschreckt. Um seine Überraschung auszudrücken, wählt er ein Bild
aus seiner eigenen Phantasie, ein Bild so lebendig und barock derb, wie nur Kleists rücksichts-
lose Einbildungskraft es gestalten konnte: „und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosig-
keit, nichts als den Rahm zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob
einem die Augenlider weggeschnitten wären. Gleichwohl"-und nun bekommen wir
Kleists Wertschätzung zu hören: „Gleichwohl hat der Maler zweifelsohne eine ganz neue Bahn
im Felde seiner Kunst gebrochen; und ich bin überzeugt, daß sich, mit seinem Geiste, eine
Quadratmeile märkischen Sandes darstellen ließe, mit einem Berberihenstrauch, worauf sich
eine Krähe einsam plustert, und daß dies Bild eine wahrhaft Ossianische oder Kosegartensche
Wirkung tun müßte."
Arnim und Brentano konnten auf ihre Art recht haben, wenn sie auf die alten Holländer
hinwiesen und behaupteten, „es würde nicht schwer sein, ein Dutzend Bilder zu nennen, wo
Meer und Ufer und Kapuziner besser gemalt sind," und auch, wenn sie meinten, daß Friedrich,
was Studium und Darstellungsvermögen anlange, „ebensoweit hinter einigen Holländern zu-
rückstehe, als er sie in der ganzen Gesinnung, worin er aufgefaßt, übertreffe."
Unter Kleists kleineren Aufsätzen in den „Berliner Abendblättern" finden wir einen mit
der Überschrift: „Ein Satz aus der höheren Kritik," in dem er behauptet: „Es gehört mehr
Genie dazu, ein mittelmäßiges Kunstwerk zu würdigen, als ein vortreffliches." Dieses Genie
besaß Kleist, das hat er Friedrichs Kunst gegenüber bewiesen. Über die auffälligen Mängel
hinweg, denen gegenüber auch er nicht blind war, über das Minderwertige und Unwesent-
liche hinweg hat er den Kern der Dinge erfaßt, hat er das eigentlich Entscheidende darin ge-
sehen, daß die deutsche Romantik nunmehr zu einer ganz neuen und modernen Landschafts-
kunst gelangt war.
Friedrichs Bild: Der Mönch, beim Abendlicht eines weichenden Tages im Sande am
Meeresstrand hinwandernd — dazu das dürftige Sandhaargras und jagende Möven, „der
einzige Lebensfunke im weiten Reich des Todes" (dies ist Kleists Ausdruck) — dies Bild
bedeutet geistig wie formal etwas Neues. Die alten Holländer oder Salvator Rosa
mögen artistisch weit überlegenere Seebilder geschaffen haben. Diese potenzierte Nach-
Rousseausche Gefühlsinnigkeit aber ist neu. Salvator Rosa schildert das Meer mit drama-
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