Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
140

Buch I. Art. 88.

88.
Grösseren Schaden haben die Wissenschaften aber
durch den Kleinmuth der Menschen und die Geringfügig-
keit und Dürftigkeit der Aufgaben erlitten, welche der
menschliche Verstand sich stellte. Und dabei hat sich,
was das Schlimmste ist, dieser Kleinmuth mit Anmaassung
und Stolz verbunden.
Zunächst zeigt sich in allen Künsten der schon all-
gemein gebräuchlich gewordene Vorbehalt, wonach die
Lehrer die Schwäche ihrer Kunst nur der Natur zur Last
legen. Was ihre Kunst nicht vermag, das soll nach ihrer
Lehre auch der Natur selbst unmöglich sein. Freilich
wird eine Kunst sich nicht verurtheilen, wenn sie selbst
das Urtheil spricht. Sogar die jetzt gebräuchliche Philo-
sophie hegt an ihrem Busen Sätze, womit man, genauer
besehen, die Menschen bereden will, dass man von der
Kunst oder Kraft des Menschen nichts Schwieriges und
nichts, was die Natur bezwingen und bewältigen werde,
erwarten dürfe,- ein Beispiel dazu liefert das, was oben
angeführt worden, wonach die Wärme, welche von den
Gestirnen und die, welche von dem Feuer kommt, ganz
verschieden und deren Mischung unmöglich sein soll. Bei
genauerer Betrachtung zeigt sich dergleichen als eine bos-
hafte Beschränkung der menschlichen Macht und als eine
absichtliche und erkünstelte Verzweiflung, welche nicht
blos die Voraussetzungen der Hoffnung stört, sondern
auch alle Anreize und Nerven der Thätigkeit durchschneidet
und selbst die Würfel der Erfahrung wegwirft. Solche
Personen, sind nur darum besorgt, dass ihre Kunst als
vollkommen gelte; sie setzen in der eitelsten und verderb-
lichsten Weise ihre Ehre darin, den Glauben zu ver-
breiten, dass das, was bis jetzt nicht entdeckt und be-
griffen worden, auch in der Zukunft nicht entdeckt und
begriffen werden könne.
Selbst Die, welche etwas Neues zu entdecken sich
mühen, verlangen doch beharrlich, nur Eins zu finden,
ohne nach Weiterem zu suchen und zu forschen. Deshalb
sind die Natur des Magneten, die Ebbe und Fluth des
Meeres, die Verhältnisse am Himmel und Anderes, was
etwas Geheimnissvolles an sich hat, bis jetzt mit sehi-
wenig Glück behandelt worden; denn es ist die grösste
 
Annotationen