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Baer, Leopold Alfred
Die illustrierten Historienbücher des 15. Jahrhunderts: ein Beitrag zur Geschichte des Formschnittes — Straßburg i. Elsaß: J.H.Ed Heitz (Heitz & Mündel), 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.68407#0167

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I. DEUTSCHLAND.
A. DIE CHRONIK DER SACHSEN.

ACHDEM man durch Nachahmung der Federzeichnungen
gelernt hatte, konnte man nunmehr dazu übergehen, wieder
selbständig erfinderisch zu schaffen. Die Produkte dieser
Thätigkeit mussten in formalerund künstlerischer Beziehung
viel besser geraten, wie die vor der Zeit entstandenen, da
man zu den Miniaturmalern in die Schule ging, sie sind
aber, rein objektiv betrachtet, meist nicht so vollendet, wie
die im zweiten Teile besprochenen Arbeiten ; sobald man
der Vorlage beraubt war, verlor man ein gewisses Mass der
Sicherheit, welches man nicht vollkommen durch eigene
Fähigkeiten ersetzen konnte. Vornehmlich die Perspektive
erscheint in manchen dieser Formschnitte wieder mangelhafter. Dazu kommt es, dass
sich mit der Befreiung von der Vorlage neue Tendenzen geltend machten. Besonderen
Wert legte man auf eine ästhetische Ausstattung des Buches, auf ein Harmonieren
des Druckes mit den Initialen und Illustrationen. Zu einer derartigen Anpassung war
eine gewisse Mannigfaltigkeit der Formschnitte nötig; in ihrer Grösse, in ihrer Ge-
stalt und Umrahmung mussten sie sich nach dem ihnen in dem Buche zugewiesenen
Platze richten. Das geht soweit, dass man nicht vor der Stilisierung zurückschreckte;
das ästhetische Element verdrängt das realistische, die historisch getreue Illustration
muss der Schönheit weichen. Man kann hierin ein Zeichen der kommenden Renais-
sance erkennen, die im letzten Jahrzehnt des i 5. Jahrhunderts auch in Deutschland
den Naturalismus des Mittelalters durch die abgeklärte Schönheit zu besiegen suchte.
Aber das ist auch hier nicht immer der Fall; zuweilen finden wir in den Illustrationen
der Chroniken dieser Periode noch einen starken Hang zur realistischen Darstellung,
sogar manchmal ein derartiges Ueberwiegen derselben, dass dabei alle anderen Rück-
sichten vernachlässigt werden. Das zeigt sich besonders bei derartigen Chroniken, die
Ereignisse schildern, welche sich kurz vor der Drucklegung des Buches abgespielt
haben. In einem solchen Falle ist es natürlich, dass man auch in den Illustrationen
möglichst wahrheitsgetreu zu sein suchte, zumal eine Täuschung des Publikums dann
weniger möglich war; auch war wohl oft in diesen Fällen der Illustrator selbst Augen-
zeuge des Vorganges : Wie eine solche Chronik die Zwecke unserer heutigen Zeitung
vertrat, so erfüllten die Illustrationen derselben die Aufgaben, die in unseren Tagen die
Photographie verfolgt.


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