sich nicht auf einen einzigen Nenner bringen lassen. Dementsprechend
schildert er Typen von 9, 8 und 7 Kopflängen. Die individuelle Varia-
bilität des menschlichen Kopfes wird in einer ganzen Reihe von Ver-
messungsfiguren dargelegt, ferner finden wir Einzelmessungen der Glie-
derung von Fuß und Hand. Man hat darauf hingewiesen, daß Dürers
Proportionsstudien nach Subtilität und Genauigkeit einen Höhepunkt der
anthropometrischen Bemühungen bildender Künstler darstellen, aber
auch den Beginn des Niederganges der künstlerischen Proportionsfor-
schung bedeuten, da sie — allzusehr Selbstzweck geworden — den Zu-
sammenhang mit dem künstlerischen Handeln verloren haben (Panofsky).
Ob diese Wertung auf dem Boden einer dem Werke Dürers nicht ge-
mäßen Betrachtungsweise erwuchs, wird zu erörtern sein. Richtig ist, daß
die Proportionsstudien der Künstler und Kunstgelehrten späterer Jahr-
hunderte nur platte, unlebendige Spielarten des von Polyklet bis Dürer
sich erstreckenden Reigens von Proportionslehren darstellen (Reinhard
1767, Schadow 1834 u. a.).
Welchem Ziele dienten diese Lehren, welche Erkenntnisse und Ergebnisse
zeitigten die anthropometrischen Untersuchungen eines Polyklet, Vitruv,
Leonardo und: Dürer?; Im Kanon des Polyklet erblicken wir eine Fassung
des Gesetzes der Schönheit in Bruchform. Im Einklang mit der später
entwickelten Ethik des Aristoteles, der im goldenen Mittelweg das Rechte
sieht, schuf Polyklet, der Aristoteles der Plastik (J. Lange), das Sollbild
der menschlichen Gestalt, d. h. des an Leib und Seele gesunden und da-
mit schönen Durchschnittsmenschen. Auch die Daten des Vitruv beziehen
sich ausdrücklich auf den „homo bene figuratus“. Die an die Antike an-
knüpfenden Bildner der Renaissance waren gleichfalls bestrebt, die
Schönheit in einer vom Künstler praktisch verwertbaren mathematischen
Regel zu ergreifen. Albrecht Dürer sagt: „Darum, find sich einer, der do
beweisen kann, mit gründlicher Wahrheit, die schönste Gestalt des Men-
schen durch Maß anzuzeigen, den will ich für den größten Meister
halten.“ Der Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens wurde der grüb-
lerische Dürer sich bewußt, dem Beschauer seiner Proportionsschemata
überließ er die Entscheidung, welchen Typus er als den schönsten be-
zeichnen wolle. Resigniert gesteht er sich schließlich: „Die Schönheit, was
das ist, das weiß ich nit.“ In späteren Jahrhunderten — soweit ihnen
überhaupt an der organisch-lebenswahren Gestaltung des Menschen ge-
legen war — sind die Proportionsstudien nicht über den Wert aka-
demischer Schulungsmittel hinausgewachsen.
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schildert er Typen von 9, 8 und 7 Kopflängen. Die individuelle Varia-
bilität des menschlichen Kopfes wird in einer ganzen Reihe von Ver-
messungsfiguren dargelegt, ferner finden wir Einzelmessungen der Glie-
derung von Fuß und Hand. Man hat darauf hingewiesen, daß Dürers
Proportionsstudien nach Subtilität und Genauigkeit einen Höhepunkt der
anthropometrischen Bemühungen bildender Künstler darstellen, aber
auch den Beginn des Niederganges der künstlerischen Proportionsfor-
schung bedeuten, da sie — allzusehr Selbstzweck geworden — den Zu-
sammenhang mit dem künstlerischen Handeln verloren haben (Panofsky).
Ob diese Wertung auf dem Boden einer dem Werke Dürers nicht ge-
mäßen Betrachtungsweise erwuchs, wird zu erörtern sein. Richtig ist, daß
die Proportionsstudien der Künstler und Kunstgelehrten späterer Jahr-
hunderte nur platte, unlebendige Spielarten des von Polyklet bis Dürer
sich erstreckenden Reigens von Proportionslehren darstellen (Reinhard
1767, Schadow 1834 u. a.).
Welchem Ziele dienten diese Lehren, welche Erkenntnisse und Ergebnisse
zeitigten die anthropometrischen Untersuchungen eines Polyklet, Vitruv,
Leonardo und: Dürer?; Im Kanon des Polyklet erblicken wir eine Fassung
des Gesetzes der Schönheit in Bruchform. Im Einklang mit der später
entwickelten Ethik des Aristoteles, der im goldenen Mittelweg das Rechte
sieht, schuf Polyklet, der Aristoteles der Plastik (J. Lange), das Sollbild
der menschlichen Gestalt, d. h. des an Leib und Seele gesunden und da-
mit schönen Durchschnittsmenschen. Auch die Daten des Vitruv beziehen
sich ausdrücklich auf den „homo bene figuratus“. Die an die Antike an-
knüpfenden Bildner der Renaissance waren gleichfalls bestrebt, die
Schönheit in einer vom Künstler praktisch verwertbaren mathematischen
Regel zu ergreifen. Albrecht Dürer sagt: „Darum, find sich einer, der do
beweisen kann, mit gründlicher Wahrheit, die schönste Gestalt des Men-
schen durch Maß anzuzeigen, den will ich für den größten Meister
halten.“ Der Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens wurde der grüb-
lerische Dürer sich bewußt, dem Beschauer seiner Proportionsschemata
überließ er die Entscheidung, welchen Typus er als den schönsten be-
zeichnen wolle. Resigniert gesteht er sich schließlich: „Die Schönheit, was
das ist, das weiß ich nit.“ In späteren Jahrhunderten — soweit ihnen
überhaupt an der organisch-lebenswahren Gestaltung des Menschen ge-
legen war — sind die Proportionsstudien nicht über den Wert aka-
demischer Schulungsmittel hinausgewachsen.
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