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Bauer, Axel
Die Krankheitslehre auf dem Weg zur naturwissenschaftlichen Morphologie: Pathologie auf den Versammlungen deutscher Naturforscher und Ärzte von 1822 - 1872 — Stuttgart, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.20515#0082
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80 Epidemien und Infektionskrankheiten

senschaftliche Methode" in der Medizin, d.h. es fehlen die technischen, die
institutionellen und die theoretisch-wissenschaftlichen Vorbedingungen für eine
erfolgversprechende systematische Forschung in der Pathologie. Die wissen-
schaftliche Krankheitslehre gilt weithin noch als Anhängsel der Klinik, bisweilen
auch als Spielwiese für theoretisch dilettierende Praktiker, die sich im Verbreiten
spekulativer Thesen gefallen. Das Rätselhafte der epidemischen Krankheiten
zum Beispiel ließe sich viel leichter in den Griff bekommen, wollte man zusam-
men mit Medizinalrat Münchmeier aus Lüneburg annehmen, daß in den letzten
Jahren die „gastrische Witterungsconstitution" vorherrsche, in Verbindung mit
einer allgemein erniedrigten Vitalität. So seien im letzten Sommer häufig Cholera-
fälle vorgekommen, „selbst der heftigsten Art; grade die am heftigsten aufgetre-
tenen Fälle wären meistens sehr schnell günstig verlaufen"70. So lesen wir es im
Referat eines Tagungsbeitrages der Kieler Naturforscherversammlung 1846.

4.5 Die Cholera (1848-1855)

Die zweite Cholera-Pandemie, die 1848 und 1849 auch Deutschland erreicht,
zwingt die Naturforscherversammlungen erneut zu konkreten Stellungnahmen,
obgleich die Kenntnisse gegenüber dem Jahre 1831/32 wenig sicherer gewor-
den sind. Auf der Regensburger Versammlung 1849 faßt August Siebert, Ordina-
rius für Innere Medizin an der Universität Jena, das Choleraproblem in vier
Fragen, die er von seinen Kollegen erörtert und beantwortet wissen möchte:

1. Ist die Cholera eine Lokalkrankheit oder eine Krankheit des Gesamtorga-
nismus?

2. Ist sie eine Krankheit des Blutes?

3. Ist sie eine Krankheit des Nervensystems oder einzelner Partien dessel-
ben?

4. Ist die jetzt herrschende Epidemie von den früheren verschieden und
worin?

Die vierte Frage wird von der Versammlung dahingehend beantwortet, daß die
gegenwärtige Epidemie mit den früheren identisch sei, jedoch von größerer
Intensität und Ausbreitung71. Die übrigen Fragen bleiben umstritten. Während
Siebert einen lokalpathologischen Standpunkt vertritt (vorwiegendes Ergriffen-
sein des Rückenmarkes bei der Cholera), glaubt der Münchener Medizinalrat Karl
von Graf (1801-1883) an eine Blutvergiftung als Ursache der Cholera und erklärt
„die Hauptsymptome aus dieser und der dadurch bewirkten Stase und die durch
diese erzeugte Belastung des Nervensystems"72. Therapeutisch wirke daher der
Aderlaß günstig, ebenso Brechmittel, denn als Allgemeinkrankheit sei die Chole-
ra nur einer symptomatischen Behandlung zugänglich. Da die vorgebrachten

70 Amtlicher Bericht 1846, S. 153.

71 Tagblatt 1849, S.35.

72 Ibid., S.36.
 
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