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Baumeister: das Architektur-Magazin — 3.1905

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Heft 4 (1905, Januar)
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Kirchbach, Wolfgang: Französische Bauphantasie
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https://doi.org/10.11588/diglit.49991#0047
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DER BAUMEISTER * 1905, JANUAR.

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Arbeiten der Rokokoperiode wiederkehren sahen. Diese An-
mut und Zierlichkeit hat französischer Geschmack ebenso in
der Handhabung der Renaissancemotive an dem Schlösschen
Franz des Ersten wie an den Louvrefassaden bewiesen. Noch
heute ist diese Anmut bezeichnet für das Wesen der Pariserin;
es ist eine Nationaleigenschaft und zwar die besondere
Eigenschaft des keltisch-gallischen Elementes der Bevölke-
rung, die wir auch periodisch in der französischen Malerei
und Literatur hervorbrechen sehen. In den Zeiten, wo dann
der sogenannte Barockgeschmack durch Berninis allmächtigen
Einfluss aufkommt, sehen wir, dass die französischen Bau-
meister nur mit grosser Zurückhaltung aus den reinen
Renaissancemotiven herausgehen und für das Bauwerk selbst
möglichst die italienischen reinen Linien der Renaissance-
tradition festhalten. Der
Baustil der Schlösser
von Versailles, das rei-
zende Schlösschen von
Trianon, Klein-Trianon,
ebenso Gross-Trianon
benutzen die Barock- und
später die Rokokoformen
nur mit grösster Vor-
sicht, weil der franzö-
sischen Bauphantasie für
architektonische Zwecke
gerade diese Formen
zweifellos grosse Schwie-
rigkeiten bereiteten und
eben dem anmutigen Ge-
schmack Frankreichs
widerstanden.
Es ist ein viel verbrei-
teter Laien-Irrtum, dass
Rokoko zum Beispiel in
Frankreich schöpferisch
sich ausgelebt habe.
Nein, diese grosse Stil-
wandlung ist in ihren
herrlichsten Werken eine
Schöpfung der Italiener
in ihren Anfängen, in
Deutschland aber, ganz
ähnlich wie die Gotik,
zu ihrer eigentlichen
höchsten Blüte getrieben
worden auf Grund der
unendlich überlegenen
Bauphantasie deutscher
Baukünstler. Ein Werk
wie Pöppelmanns „Zwin-
ger“ in Dresden hätte
französische Bauphan-
tasie nie gewagt; ein
solches Traumwerk
freier Phantasie würde

auf dem Versailler Schloss gehören zum Schlechtesten, Hand-
werksmässigsten dieser Art; so geniale dekorative Ideen wie
die Schlüterschen Masken findet man in jener ganzen Zeit in
Paris und Umgegend nicht. Die vielgenannte, den Deutschen
historisch so heilige Spiegelgalerie im Schlosse von Versailles
aber ist das Geschmackloseste aus jenen Zeiten. Die Art, wie
man hier die metallenen Embleme und Dekorationsstücke un-
vermittelt auf den Marmor gepflastert hat, gehört zum Be-
leidigendsten der Barockzeit und hat eben eine Zeit lang diese
ganze Kunst in Verruf gebracht. Während Ludwig XV. überall
die Spuren guten Geschmacks hinterlässt, hat Ludwig XIV. das
zweifelhafte Verdienst, überall das Scheusslichste beschützt zu
haben und wäre es auch nur der architektonisch ganz unglaub-
lich schlechte, weltberühmte Froschbrunnen. Man muss die
Pariser Reklame nicht
verwechseln, mit den
wirklichen Verhältnissen,
wie sie sich für Kunst-
freunde darstellen, die
eben mehr als bloss
Paris von der Welt ken-
nen. Wir stellen, um
den Unterschied franzö-
sischer Bauphantasie und
deutscher anschaulich zu
machen, Frangois Mau-
sarts Schloss „Maison-
sur-Seine“ mit seinen
entsetzlichen Kamin-
dächern neben ein Bild
von Pöppelmanns Zwin-
gerpavillon mit seinem
Dach. Es wird niemand
zweifeln, wem der Vor-
rang des Geschmacks
und der Phantasie ge-
bührt, was Dächer an-
langt.
Und so geht es durch
die Jahrhunderte weiter.
Nach dem Absterben der
Rokokophantasie und
dem Emporkommen Na-
poleons I. erlebt Paris
wie in aller bildenden
Kunst so auch in der
Architektur eine Periode,
für die zwar eine unge-
heure Militär-Reklame
gemacht worden ist, die
aber ein Ersterben aller
architektonischen, eige-
nen Phantasie bedeutet.
Man will „römisch“ sein
und der Korse will auf
diese Römerreklame sein


dem schulmässigen Cha-
rakter der immer aka-
demisch verfahrenden romanisch-keltischen Art nie gelungen
sein. Die eigentlichen Grossmeister der Rokoko-Archi-
tektur sind vielmehr Pöppelmann und Knobelsdorff, Bal-
thasar Neumann, der Erbauer des Würzburger Schlosses,
das an Genialität alles übertrifft, was in diesen Kunst-
formen geleistet wurde, ähnlich wie seine Innendekora-
tionen in Bruchsal das Beste der Zimmer Louis quinze im
Schlosse von Versailles weit übertreffen. Rein historisch
ergibt sich, dass die Franzosen in diesen Zeiten nur die
schüchternen Nachahmer dessen sind, was die Grossmeister
Pöppelmann in Dresden und Sachsen, Balthasar Neumann in
Franken und Knobelsdorff in Berlin und Sanssouci vorher
schufen. Ganz ähnlich hatte Schlüter das sogenannte Barocke
am Berliner Zeughause mit ungleich höherer schöpferischer
Kraft zu einer individuellen Gestalt geläutert, die einen grossen
Charakter der Zeit ausspricht. Die Barockkrönungen der Simse

Weltreich gründen. Aber
man versteht die grie-
chisch-römischen Formen nur halb und kommt nur in seltenen
Fällen über eine akademische Auffassung des Säulenwesens hin-
aus, selbst wenn es die Madeleine-Kirche wäre. Von einer origi-
nellen französischen Bauphantasie kann man hier am wenigsten
reden; es wird einfach der Kanon griechischer Tempelbaukunst
wie man ihn sich damals dachte, repetiert, mit einem sehr guten
Material, mit dem Kalkstein des Landes der Seine, der über-
haupt die architektonische Physiognomie von Paris so wertvoll
macht und die wunderbaren Lichtwirkungen der öffentlichen
Gebäude von Paris bestimmt, und mit dem köstlichen Material
des Marmors. Da dieses selbst nun durchweg mit dem den
Franzosen eigenen Geschmack rein technisch behandelt ist, so
entsteht für jeden Freund von Paris jener anheimelnde, bis zum
„Heimweh nach Paris“ sich steigernde Eindruck, der Paris als
Gebäudestadt doch so wohnlich macht. In dieser Napoleonischen
Periode bemerken wir aber, dass auch der „Geschmack“, die

Lampertikirche in Münster.
 
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