Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Beger, Otto
Gesellschaftliche und technisch-wirtschaftliche Grundlagen der europäischen Wandteppich-Wirkerei, besonders der heutigen Gobelin-Manufaktur — Augsburg: Filser, 1929

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.48838#0038
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
26

hervor. Oudenaarde bot mit seiner zahlreichen Arbeiterbevölkerung
schon verhältnismäßig früh das Bild einer reinen Industriestadt. Die
Kluft zwischen dem Großunternehmer und dem mittellosen Hand-
arbeiter trat hier schon um das Jahr 1500 deutlich hervor. Selbst
der Bildwirkerei, die infolge ihrer hohen Anforderungen an das
künstlerische Verständnis des Wirkers in anderen Städten doch
immerhin noch die längste Zeit eine Angelegenheit des ,,ehrsamen
Handwerks“ blieb, wurde hier bald mehr oder weniger der Stempel
industrieller Betätigung aufgedrückt. Wie sehr das Qualitätsniveau
der Oudenaarder Erzeugnisse durch die massenweise Herstellung in
Mitleidenschaft gezogen wurde, geht aus einer Unzahl von Klagen
des dortigen Rates und der Wirkerzunft über nachlässige und un-
vorschriftsmäßige Ausführung hervor. Im Jahre 1538 wurde sogar
ein größerer Posten von Wirkteppichen in Antwerpen beschlagnahmt
und die Generalstatthalterin Maria von Ungarn verbot vorüber-
gehend die Einfuhr von Oudenaarder Erzeugnissen. Um diese Zeit
sollen nach einer zeitgenössischen Urkunde in der Stadt und ihrer
nächsten Umgebung über 10000 Menschen in Wirkereiwerkstätten
beschäftigt gewesen sein. Durch die Beschlagnahme wurde ein großer
Teil von ihnen arbeitslos, da viele Meister ihren Betrieb einstellen
mußten, und nachdem gleichzeitig auch die wirtschaftliche Lage der
Arbeiterschaft der übrigen Gewerbezweige immer elender geworden
war, kam es im Jahre 1539 zu einem offenen Aufruhr der Arbeiter-
massen von Gent, Oudenaarde, Courtrai und Ypern. Das Erscheinen
Kaiser Karls vor Gent bereitete der Revolte ein rasches Ende. Die
Lage der Arbeiterschaft war aber damit nicht besser geworden.
Zahlreiche Wirkergesellen und Meister wanderten damals aus und
die kleineren Werkstätten gerieten immer mehr in Abhängigkeit der
Großunternehmer und Händler. So kam es häufig vor, daß eine ein-
zige Großmanufaktur gleichzeitig noch über 50 Kleinbetriebe be-
schäftigte. Besonders charakteristisch für den Wirkereibetrieb Oude-
naardes waren die ländlichen Werkstätten in der nächsten Um-
gebung der Stadt, die im Solde städtischer Großunternehmer arbei-
teten, von denen sie das Rohmaterial geliefert bekamen. In einzelnen
Dörfern bestanden ganze Wirkerkolonien, die neben ihrer Acker-
wirtschaft im Heimbetrieb die billigsten Wirkereierzeugnisse ver-
fertigten. Entstand in Oudenaarde eine Unmenge von minder-
 
Annotationen