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phyrius de abstinentia IV 16, 7), die anderen beiden, Flucht auf den Baum und Blätterversteck,
lassen eine Episode des Mythos erschließen, in der Mithras nach der Errettung der Welt vor der
Dürre durch das Wasserwunder von den Gewalten des Ahriman bedrängt wird (durch eine Sint-
flut?). Motive aus dem ägyptischen Osirismythos klingen an.
Szene 6.
Die Mitte der oberen Reihe nimmt ein gegiebeltes Gebäude ein mit zweisäuliger Antenvorhalle,
hinter ihr ist ein liegender Stier sichtbar, aus dessen Schwanzspitze Ähren herauswachsen. Im
Giebel sind zwei Büsten angebracht, links eine weibliche mit einem Halbmond auf der Stirn, also
Luna, rechts eine männliche ohne Attribut, Sol; dazwischen auf einem Steine sitzend, den Hals
nach links auf den Boden reckend, ein Rabe, der bekannte
Vogel der Mithraslegende. Links neben diesem Gebäude steht
Mithras, erstmalig mit dem kurzen Chiton bekleidet, den
Mantel um den linken Arm gewickelt; mit der Rechten hebt
er einen Stein in der Richtung auf das Gebäude. Der linke
Fuß ist auf einen Steinblock aufgestützt, der ganze Körper
zum Wurfe angespannt. Diese beiden Bilder gehören also
zusammen.
Der Stier in seiner Behausung ist ungemein häufig dar¬
gestellt, doch ist diese meist als eine primitive Hütte gebildet,
seltener als Haus mit Giebel (Sarmizegetusa, Cumont II 167;
vgl. Jahrb. für Kunstgesch. XVI 1923 S. 83 Abb. 54), während
für die Anlage unseres Bildes eine volle Parallele fehlt. Bei
unbefangener Betrachtung gewinnt man aus diesem den Ein¬
druck, daß der Stier in dem Gebäude gefangen sei und von
Mithras, der mit dem Stein das Gefängnis zertrümmert,
befreit wird. Andererseits sehen wir, wie auf attischen As-
klepiosreliefs die heilige Schlange durch Steinwürfe auf¬
getrieben wird. Faßt man, wie das zumeist geschieht, den
Stier als die Verkörperung der Zeugungskraft, so kann die
letztgenannte Deutung genügen. Anders aber, wenn man
die indische Auffassung von den Wolkenkühen heranzieht und
in dem Stier der mithrischen Legende gleichfalls die Personi-
fikation der Regenwolke sieht, die vom bösen Geist gefangen¬
gehalten wird, um der Welt den Regen zu entziehen. Auch
die griechische Mythologie kennt ja stiergestaltige Wassergottheiten, wie den Achelous, dessen
abgebrochenes Horn Segen spendet, ebenso die keltische (Wirtz, Publicat. de la section hist, de
l’inst. de Luxemburg LXV1 1926 S. 424ff.): in zwei Reliefs (aus Trier und Paris) ist Esus dar-
gestellt, wie er einen Baum fällt, in bzw. unter dem sich ein Stier und drei Kraniche befinden;
d. h. der Gott beseitigt ein Hindernis, um zu dem Wasserstiere zu gelangen. Dieser Vorgang
wäre eine völlige Parallele zu der Tat des Mithras, wenn ein Zusammenhang auch nicht nachweis-
bar und auch nicht wahrscheinlich ist. (Zu dem Stier als Wassergott vgl. Rademacher, Jenseits
S. 102.) In den Veden ist Indra, der mit Mithras und Varuna eine Trias bildet, als Stiergott auf-
gefaßt und wird als „Stier der Stiere“ angerufen.
Die weiße Farbe des Stieres in dem Wandbilde des neuen Mithräums von Capua (Notizie
d. sc. 1924 Taf. XVII) erlaubt möglicherweise die Deutung des Tieres auf den Mond, dem ja alle
Zeiten besonderen Einfluß auf das Wetter, zumal die Niederschläge, zugesprochen haben. In Mithras
und dem Stier wäre dann der Antagonismus der beiden großen Gestirne symbolisiert. Daß dabei
das eine noch theriomorph vorgestellt wird, während das andere bereits zu voller Anthropomorphie
entwickelt ist, wäre an sich nicht unerhört.
Abb. lü. Aus dem Kultbild von
Heddernheim.
phyrius de abstinentia IV 16, 7), die anderen beiden, Flucht auf den Baum und Blätterversteck,
lassen eine Episode des Mythos erschließen, in der Mithras nach der Errettung der Welt vor der
Dürre durch das Wasserwunder von den Gewalten des Ahriman bedrängt wird (durch eine Sint-
flut?). Motive aus dem ägyptischen Osirismythos klingen an.
Szene 6.
Die Mitte der oberen Reihe nimmt ein gegiebeltes Gebäude ein mit zweisäuliger Antenvorhalle,
hinter ihr ist ein liegender Stier sichtbar, aus dessen Schwanzspitze Ähren herauswachsen. Im
Giebel sind zwei Büsten angebracht, links eine weibliche mit einem Halbmond auf der Stirn, also
Luna, rechts eine männliche ohne Attribut, Sol; dazwischen auf einem Steine sitzend, den Hals
nach links auf den Boden reckend, ein Rabe, der bekannte
Vogel der Mithraslegende. Links neben diesem Gebäude steht
Mithras, erstmalig mit dem kurzen Chiton bekleidet, den
Mantel um den linken Arm gewickelt; mit der Rechten hebt
er einen Stein in der Richtung auf das Gebäude. Der linke
Fuß ist auf einen Steinblock aufgestützt, der ganze Körper
zum Wurfe angespannt. Diese beiden Bilder gehören also
zusammen.
Der Stier in seiner Behausung ist ungemein häufig dar¬
gestellt, doch ist diese meist als eine primitive Hütte gebildet,
seltener als Haus mit Giebel (Sarmizegetusa, Cumont II 167;
vgl. Jahrb. für Kunstgesch. XVI 1923 S. 83 Abb. 54), während
für die Anlage unseres Bildes eine volle Parallele fehlt. Bei
unbefangener Betrachtung gewinnt man aus diesem den Ein¬
druck, daß der Stier in dem Gebäude gefangen sei und von
Mithras, der mit dem Stein das Gefängnis zertrümmert,
befreit wird. Andererseits sehen wir, wie auf attischen As-
klepiosreliefs die heilige Schlange durch Steinwürfe auf¬
getrieben wird. Faßt man, wie das zumeist geschieht, den
Stier als die Verkörperung der Zeugungskraft, so kann die
letztgenannte Deutung genügen. Anders aber, wenn man
die indische Auffassung von den Wolkenkühen heranzieht und
in dem Stier der mithrischen Legende gleichfalls die Personi-
fikation der Regenwolke sieht, die vom bösen Geist gefangen¬
gehalten wird, um der Welt den Regen zu entziehen. Auch
die griechische Mythologie kennt ja stiergestaltige Wassergottheiten, wie den Achelous, dessen
abgebrochenes Horn Segen spendet, ebenso die keltische (Wirtz, Publicat. de la section hist, de
l’inst. de Luxemburg LXV1 1926 S. 424ff.): in zwei Reliefs (aus Trier und Paris) ist Esus dar-
gestellt, wie er einen Baum fällt, in bzw. unter dem sich ein Stier und drei Kraniche befinden;
d. h. der Gott beseitigt ein Hindernis, um zu dem Wasserstiere zu gelangen. Dieser Vorgang
wäre eine völlige Parallele zu der Tat des Mithras, wenn ein Zusammenhang auch nicht nachweis-
bar und auch nicht wahrscheinlich ist. (Zu dem Stier als Wassergott vgl. Rademacher, Jenseits
S. 102.) In den Veden ist Indra, der mit Mithras und Varuna eine Trias bildet, als Stiergott auf-
gefaßt und wird als „Stier der Stiere“ angerufen.
Die weiße Farbe des Stieres in dem Wandbilde des neuen Mithräums von Capua (Notizie
d. sc. 1924 Taf. XVII) erlaubt möglicherweise die Deutung des Tieres auf den Mond, dem ja alle
Zeiten besonderen Einfluß auf das Wetter, zumal die Niederschläge, zugesprochen haben. In Mithras
und dem Stier wäre dann der Antagonismus der beiden großen Gestirne symbolisiert. Daß dabei
das eine noch theriomorph vorgestellt wird, während das andere bereits zu voller Anthropomorphie
entwickelt ist, wäre an sich nicht unerhört.
Abb. lü. Aus dem Kultbild von
Heddernheim.