BRUNO GRIMSCHITZ
untertan, weitet sich unvermittelt im Werke Waldmüllers. Nicht mehr das Motivische,
nicht mehr die Stilformel, sondern die Sachlichkeit von dem anderen Pol her: von dem
Individuum. Darin liegt zugleich das Neue und das zeitlich Bedingte: die machtvolle
Unabhängigkeit des Persönlichen, die alle künstlerische Tradition des eigenen Bodens in
ihr Gesichtsfeld einströmen läßt, durch die Intensivierung und Steigerung ihrer Natur
aber zu subjektiver Neuheit der Ausdrucksform umwertet. In dieser Spannung vollzieht
sich die schöpferische Arbeit Waldmüllers: unabhängig, ein Revolutionär in den For-
derungen seines künstlerischen Ethos, zeitgebunden an die künstlerische Kultur des
österreichischen Bodens in seinem malerischen Werk. Konservativ und revolutionär
zugleich. Und nur durch diese Spannungsweite seines Wesens befähigt, eine neue Norm
der Anschauung, eine neue Höhe malerischer Kultur, einen neuen Stil zu geben.
Das Neue, das Waldmüller proklamierte, war die Natur. Vielmehr die Sachlichkeit
ihrer künstlerischen Wiedergabe. Aber auch das war keine neue, individuelle Forderung.
Die Jahrhundertwende sah eine neue Sachlichkeit als allgemeinste Orientierung zum
Sichtbaren, zur Realität, zum Faßbaren. Zur Plastik und zur Linie. Sogar das klassizi-
stische Lineament, die Primitivität der Nazarener war nach der vergeistigten Geste des
Barocks, nach der Irrealität seiner psychischen und farbigen Sensationen eine Art neuer
Sachlichkeit. Füger lenkte in sie ein, wie sie in der österreichischen Malerei die Lampi,
Krafft und Kreuzinger, Rebell und Alt, wie sie die Porträtmaler, die Landschafter und
die Meister des Stillebens besaßen. Waldmüllers Forderung entsprang der Zeit. Sie ist
also durchaus konservativ und enthüllt in ihrem ganzen Umfang die historische Bedingt-
heit der Kunst Waldmüllers. (Sie schließt auch die Schwierigkeit in sich, zum Positiven
seiner künstlerischen Schöpfung im Zusammenhang der allgemein-deutschen Malerei zu
gelangen.) Denn neu war nur die Bedingungslosigkeit der Forderung Waldmüllers. Neu
war die Intensität der Sachlichkeit. Neu ihr Steigerungsgrad, neu das bis zum Fanatismus
erhobene Maß ihrer Unbedingtheit. Die Sachlichkeit der Anschauung, die Wahrheit als
das Absolute in seiner letzten Konsequenz. Denn nur in der äußersten Potenzierung der
sachlichen Naturwiedergabe, in ihrer Übersteigerung zum zentralenPol der künstlerischen
'Tatsache über alle Nebenfragen menschlicher Zeitprobleme hinaus lag für Waldmüller
der Weg zu einer neuen künstlerischen Welt. Seiner Natur fehlte jeder romantische
Zug, fehlte das Spekulative und das Sentimentale, das Visionäre und das Transzendentale.
Er ist durchaus auf das Reale gerichtet, mit der Aktivität des Eroberers, mit dem Mut
und dem Willen des Kämpfers. Kritisch kühl und sachlich in seinen literarischen Doku-
menten, bezeichnet er sich selbst einmal als vollkommenen Naturalisten auch in seiner
Schreibweise. Seine literarischen Zeugnisse sind Bestätigung für dieses Wort. Wissen-
schaftlich überlegt und methodisch, aber temperamentvoll, mit aller Lebendigkeit des
Natürlichen, geben seine Auseinandersetzungen leidenschaftliche Kritik der Kunst seiner
untertan, weitet sich unvermittelt im Werke Waldmüllers. Nicht mehr das Motivische,
nicht mehr die Stilformel, sondern die Sachlichkeit von dem anderen Pol her: von dem
Individuum. Darin liegt zugleich das Neue und das zeitlich Bedingte: die machtvolle
Unabhängigkeit des Persönlichen, die alle künstlerische Tradition des eigenen Bodens in
ihr Gesichtsfeld einströmen läßt, durch die Intensivierung und Steigerung ihrer Natur
aber zu subjektiver Neuheit der Ausdrucksform umwertet. In dieser Spannung vollzieht
sich die schöpferische Arbeit Waldmüllers: unabhängig, ein Revolutionär in den For-
derungen seines künstlerischen Ethos, zeitgebunden an die künstlerische Kultur des
österreichischen Bodens in seinem malerischen Werk. Konservativ und revolutionär
zugleich. Und nur durch diese Spannungsweite seines Wesens befähigt, eine neue Norm
der Anschauung, eine neue Höhe malerischer Kultur, einen neuen Stil zu geben.
Das Neue, das Waldmüller proklamierte, war die Natur. Vielmehr die Sachlichkeit
ihrer künstlerischen Wiedergabe. Aber auch das war keine neue, individuelle Forderung.
Die Jahrhundertwende sah eine neue Sachlichkeit als allgemeinste Orientierung zum
Sichtbaren, zur Realität, zum Faßbaren. Zur Plastik und zur Linie. Sogar das klassizi-
stische Lineament, die Primitivität der Nazarener war nach der vergeistigten Geste des
Barocks, nach der Irrealität seiner psychischen und farbigen Sensationen eine Art neuer
Sachlichkeit. Füger lenkte in sie ein, wie sie in der österreichischen Malerei die Lampi,
Krafft und Kreuzinger, Rebell und Alt, wie sie die Porträtmaler, die Landschafter und
die Meister des Stillebens besaßen. Waldmüllers Forderung entsprang der Zeit. Sie ist
also durchaus konservativ und enthüllt in ihrem ganzen Umfang die historische Bedingt-
heit der Kunst Waldmüllers. (Sie schließt auch die Schwierigkeit in sich, zum Positiven
seiner künstlerischen Schöpfung im Zusammenhang der allgemein-deutschen Malerei zu
gelangen.) Denn neu war nur die Bedingungslosigkeit der Forderung Waldmüllers. Neu
war die Intensität der Sachlichkeit. Neu ihr Steigerungsgrad, neu das bis zum Fanatismus
erhobene Maß ihrer Unbedingtheit. Die Sachlichkeit der Anschauung, die Wahrheit als
das Absolute in seiner letzten Konsequenz. Denn nur in der äußersten Potenzierung der
sachlichen Naturwiedergabe, in ihrer Übersteigerung zum zentralenPol der künstlerischen
'Tatsache über alle Nebenfragen menschlicher Zeitprobleme hinaus lag für Waldmüller
der Weg zu einer neuen künstlerischen Welt. Seiner Natur fehlte jeder romantische
Zug, fehlte das Spekulative und das Sentimentale, das Visionäre und das Transzendentale.
Er ist durchaus auf das Reale gerichtet, mit der Aktivität des Eroberers, mit dem Mut
und dem Willen des Kämpfers. Kritisch kühl und sachlich in seinen literarischen Doku-
menten, bezeichnet er sich selbst einmal als vollkommenen Naturalisten auch in seiner
Schreibweise. Seine literarischen Zeugnisse sind Bestätigung für dieses Wort. Wissen-
schaftlich überlegt und methodisch, aber temperamentvoll, mit aller Lebendigkeit des
Natürlichen, geben seine Auseinandersetzungen leidenschaftliche Kritik der Kunst seiner