RENOIRS BAIGNEUSES
nicht mehr so unerbittlich streng gegenüber. Und wenige Jahre später eine neue Phase,
eine abermalige Steigerung zur Allgemeingültigkeit der menschlichen Erscheinung in der
Rückenfigur der Badenden von 1885. In die Figur ist Bewegung gekommen, die Hände
greifen in die Haare und die Kontur des Körpers zeichnet sich reliefartig klar von der
Landschaft ab. Der Umriß ist schärfer und härter geworden, die optische Vision beginnt
prägnanter Räumlichkeit zu weichen. Das Bild ist das Präludium zu den Baigneuses von
1885, der großen Badeszene der Sammlung Blanche, für die sicli Renoir von den Blei-
reliefs Girardons im Park von Versailles Anregung holte. Sie bedeutet die Zäsur im
Werke des Meisters. Hier sagt er sich los von Manet, um ganz den eigenen Weg zu suchen.
Der Impressionismus mußte sich schließlich ad absurdum führen. Die Steigerung der
Naturwiedergabe hatte Grenzen, die nicht überschreitbar waren. Die Mechanisierung
der impressionistischen Errungenschaften mußte in einen Abgrund führen, mußte
letzten Endes die Nüchternheit eines bedingungslosen Verismus zum höchsten und letzten
Ziel künstlerischen Wollens proklamieren, aus dem nur ein neuer Idealismus, eine neue
seelische Belebung herausführen konnte. Es galt den Weg aus dem Dilemma zu finden.
Monet konnte es nicht, er war dem Impressionismus verfallen. Nicht etwa so, daß sein
künstlerisches Schaffen im Grunde entwicklungslos verlaufen wäre. Es war auch dem
Wandel und der Entwicklung unterworfen, aber nur das System der Farben änderte
sich, die Illusion der künstlerischen Aufnahme und Wiedergabe erfuhr eine Steigerung
und die atmosphärischen Phänomene wurden raffinierter in der Darstellung. Er blieb
dem optischen Erlebnis hingegeben und kam kaum jemals darüber hinaus. Die Erlösung
sollte Cezanne heißen.Wenn auch nicht für Renoir, für den eine europäische Angelegenheit
nur mehr ein Glied in der Kette persönlichster Entwicklung, für den der Impressionismus
nicht Weltanschauung, sondern nur Etappe auf dem Wege zur eigenen Vollendung
bedeuten sollte. Das Kunstwerk mußte auch ihm wieder mehr als ein Spiegel der realen
Umwelt, mehr als eine optische Sensation werden, deren farbiger Erscheinung er bei-
zukommen sucht. Die Wandlung war schon bei der Baigneuse von 1885 fühlbar, An-
sätze tauchten schon bei der blonden Baigneuse auf. Der Mensch bleibt aucli fernerhin
das wertvollste Objekt seiner Kunst, doch steht er ihm nun durchaus anders gegenüber.
Zweifach sollte das neue Streben Ausdruck finden: in einer neuen Poetisierung des
Gegenstandes und in einer neuen künstlerischen Abstraktion, die in der plastischen
Räumlichkeit letztes Ziel malerischer Auseinandersetzung mit der Umwelt sieht.
1903 entstand das Spätbild der Badenden in der Wiener Galerie'. Die Frau ist ein
Geschöpf aus anderer Welt, nicht mehr eine bestimmte Frau, ein Modell, das sich an
1 Um diese Zeit erscheint das Thema der Badenden auch in der Graphik llenoirs variiert. Die Radierungen D. ii und
12 (um 1905/06) reminiszieren graphisch das Motiv des Wiener Frühbildes, das auch in den Lithographien D. 36 (um 1905)
und D. 42 und 43 (um igo4) wiederkehrt.
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nicht mehr so unerbittlich streng gegenüber. Und wenige Jahre später eine neue Phase,
eine abermalige Steigerung zur Allgemeingültigkeit der menschlichen Erscheinung in der
Rückenfigur der Badenden von 1885. In die Figur ist Bewegung gekommen, die Hände
greifen in die Haare und die Kontur des Körpers zeichnet sich reliefartig klar von der
Landschaft ab. Der Umriß ist schärfer und härter geworden, die optische Vision beginnt
prägnanter Räumlichkeit zu weichen. Das Bild ist das Präludium zu den Baigneuses von
1885, der großen Badeszene der Sammlung Blanche, für die sicli Renoir von den Blei-
reliefs Girardons im Park von Versailles Anregung holte. Sie bedeutet die Zäsur im
Werke des Meisters. Hier sagt er sich los von Manet, um ganz den eigenen Weg zu suchen.
Der Impressionismus mußte sich schließlich ad absurdum führen. Die Steigerung der
Naturwiedergabe hatte Grenzen, die nicht überschreitbar waren. Die Mechanisierung
der impressionistischen Errungenschaften mußte in einen Abgrund führen, mußte
letzten Endes die Nüchternheit eines bedingungslosen Verismus zum höchsten und letzten
Ziel künstlerischen Wollens proklamieren, aus dem nur ein neuer Idealismus, eine neue
seelische Belebung herausführen konnte. Es galt den Weg aus dem Dilemma zu finden.
Monet konnte es nicht, er war dem Impressionismus verfallen. Nicht etwa so, daß sein
künstlerisches Schaffen im Grunde entwicklungslos verlaufen wäre. Es war auch dem
Wandel und der Entwicklung unterworfen, aber nur das System der Farben änderte
sich, die Illusion der künstlerischen Aufnahme und Wiedergabe erfuhr eine Steigerung
und die atmosphärischen Phänomene wurden raffinierter in der Darstellung. Er blieb
dem optischen Erlebnis hingegeben und kam kaum jemals darüber hinaus. Die Erlösung
sollte Cezanne heißen.Wenn auch nicht für Renoir, für den eine europäische Angelegenheit
nur mehr ein Glied in der Kette persönlichster Entwicklung, für den der Impressionismus
nicht Weltanschauung, sondern nur Etappe auf dem Wege zur eigenen Vollendung
bedeuten sollte. Das Kunstwerk mußte auch ihm wieder mehr als ein Spiegel der realen
Umwelt, mehr als eine optische Sensation werden, deren farbiger Erscheinung er bei-
zukommen sucht. Die Wandlung war schon bei der Baigneuse von 1885 fühlbar, An-
sätze tauchten schon bei der blonden Baigneuse auf. Der Mensch bleibt aucli fernerhin
das wertvollste Objekt seiner Kunst, doch steht er ihm nun durchaus anders gegenüber.
Zweifach sollte das neue Streben Ausdruck finden: in einer neuen Poetisierung des
Gegenstandes und in einer neuen künstlerischen Abstraktion, die in der plastischen
Räumlichkeit letztes Ziel malerischer Auseinandersetzung mit der Umwelt sieht.
1903 entstand das Spätbild der Badenden in der Wiener Galerie'. Die Frau ist ein
Geschöpf aus anderer Welt, nicht mehr eine bestimmte Frau, ein Modell, das sich an
1 Um diese Zeit erscheint das Thema der Badenden auch in der Graphik llenoirs variiert. Die Radierungen D. ii und
12 (um 1905/06) reminiszieren graphisch das Motiv des Wiener Frühbildes, das auch in den Lithographien D. 36 (um 1905)
und D. 42 und 43 (um igo4) wiederkehrt.
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