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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — Band 7.1925

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Wimmer, Friedrich: Nikolaus Gerhaert von Leyden und einige Figuren am Wiener Stephansdom
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https://doi.org/10.11588/diglit.69286#0195
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FRIEDRICH WIMMER

mit dem Sockel zusammen 1'82 Meter. Die wie ursprünglich auch beim heiligen Lau-
rentius vorgestellte Säule, der Baldachin, der Sockel, die beiden Hände und der Kopf
des Drachen sind ergänzt. Die Freiheit und Elastizität in dem wunderbar bewegten
Körper, die von genauer Beobachtung der Erscheinungswelt zeugende Wiedergabe der
Details der Rüstung,die dabei ohne alle Pedanterie und, ohne dem Gesamteindruck Abbruch
zu tun, behandelt sind, lassen auf einen direkt von Nikolaus abhängigen Meister schließen.
Der Kopf mit dem herabfallenden Lockenhaar und der den feinsten Zügen nachgehen-
den Modellierung zeigt Verwandtschaft mit dem Kopfe Friedrichs1.
Die Tätigkeit des großen Anregers in Wien muß als die Voraussetzung noch für zwei
weitere Figuren an der Nordostecke des Adlerturmes, die des heiligen Christophorus
und die schwächere der heiligen Margareta, angesehen werden, doch in einem weit
allgemeineren Sinne, als dies bei den bisher betrachteten der Fall war (Abb. 2 und 9).
Die Christophorusstatue mißt 1'82 Meter; die beiden Säulen, der Baldachin und der ganze
Teil der Figur unterhalb der Mitte des Unterschenkels sind ergänzt. Die Figur der heiligen
Margareta mißt 1'83 Meter; an ihr sind der obere Teil des Kopfes, der untere Teil des
Haares links, der rechte Unterarm mit einem daranschließenden Stück des Körpers, der
linke Unterarm und das Postament neu. Der Realismus in Gesichts- und Haarbehandlung,
die Einordnung des Faltenspieles unter Hauptlinien rufen die künstlerische Art des Nikolaus
ins Gedächtnis zurück; auch die steilen Falten mit den rinnenartigen Vertiefungen da-
zwischen sind bei ihm bereits vorgebildet (Sierckgrabmal, Laurentius, die Mantelränder
bei der Friedrichligur). Im ganzen aber führen uns die beiden Figuren und besonders
die des Christophorus mehr noch als die an erster Stelle behandelte Stephansfigur in die
neue Entwicklungsphase der spätgotischen Plastik, die über das Ende des 15. und den
Anfang des 16. Jahrhunderts sich erstreckt und gegenüber den zum Teil mit der
italienischen Renaissance parallel gehenden naturalistischen Bestrebungen in den ersten
zwei Dritteln des Jahrhunderts von einem mächtigen Wiederaufleben gotisch-nordischen
Wesens bestimmt wird. Sie machte sich dabei immerhin die Errungenschaften des
Naturalismus der vorangegangenen Strömung zunutze, vor allem was die Behandlung
von Gesicht und Händen betrifft. Aber der Körper ist nunmehr wieder vollständig hinter
das Gewand zurückgetreten; dessen Falten ziehen souverän über die Formen des Körpers
hin. Damit hat gleichzeitig eine Entkörperlichung und freiräumliche Auflösung der Masse
im Sinne einer neuen Vergeistigung der Kunst Platz gegriffen, wie sie kaum das 14. Jahr-
hundert kannte. Zu diesem liegt ein wichtiger Unterschied vor allem darin, daß dessen
vertikal eingestellten Raumstreben gegenüber die Figur sich nunmehr allseitig öffnet
und ausbreitet. Die Hauptvertreter dieser Strömung sind in Österreich die Altäre von
St. Wolfgang und Käfermarkt, unsere beiden Figuren Parallelen zu diesen.
1 Besser von vorne zu sehen als im Profil, das die Abbildung gibt.

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